Mooshausen Medien » Josef Weiger


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Das schwäbische Pfarrhaus in Mooshausen, überragt von einer mehrhundertjährigen Linde, war seit 1917 zum Mittelpunkt eines weitverzweigten Freundeskreises um Pfarrer Josef Weiger geworden. Eine Vielzahl von Freunden und Ratsuchenden fand bis zum Tod von Josef Weiger 1966 den Weg in das kleine Dorf um die alte Wallfahrtskirche St. Johann Baptist.

Einen Überblick über Leben und Wirken von Josef Weiger finden Sie auf den Tafeln der Ausstellung von 2011 vom Freundeskreis Mooshausen e.V. im Alten Schulhaus von Mooshausen:

» Ausstellung über Josef Weiger




Das inzwischen aufgelöste Familiengrab der Familie Weiger mit den Eltern von Josef Weiger und Maria Knoepfler war bis 2022 auf dem Friedhof von St. Christina, Ravensburg.

Das hölzerne Kreuz wurde von Familie Weiger dem Freundeskreis überlassen, der es restaurierte und  im Mai 2023 im Pfarrgarten von Mooshausen aufstellte.

Sehen Sie hierzu » Grabkreuz von Familie Weiger und Maria Knoepfler


Lexikalische Biographie von Josef Weiger
von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

 

* 10.6.1883 Schloß Zeil/Leutkirch, rk.
† 27.8.1966 Mooshausen bei Aitrach, dort beiges. am 31.8.1966

V  Josef Cäsar (1844-1927), Domänendirektor.
M Maria Wilhelmine (1854-1923), geb. Schmaus.
G 3; Max (1875-1945), Maria (* 1881) u. Alphons (1887-1888).

1903   Abitur im Gymnasium Rottweil, wohnhaft im dortigen Konvikt
1903 X. 31-1905 II. Noviziat als Fr. Martin in d. Erzabtei Beuron
1905/06 – 1909 Studium d. Theologie in Tübingen
1910 – 1911 Studium d. Theologie im Priesterseminar Rottenburg; dort am 12. Juli 1911 Priesterweihe
1911 X. 9   Vikarsstellen: Wangen; 4. 1. 1914 Horb am Neckar, wegen Krankheit nicht angetreten, Verbleib auf Schloss Zeil; 23. 12. 1914 Herrlingen; 1. 5. 1916 Hauerz; 27. 9.1916 Schelklingen
1917 I. 16 Pfarrer in Mooshausen
1951 II. 22 Dr. theol. h. c. d. Univ. Tübingen
1957 I. 16 Pensionierung; Wohnung weiterhin in Mooshausen

W.s Leben, von außen gesehen ruhig, verlief innerlich reich und charismatisch. Er wollte ursprünglich in der Erzabtei Beuron eintreten, was sein schwacher Gesundheitszustand verhinderte. Aber für seinen Lebensweg wurde ein bedeutender Benediktiner bestimmend: P. Placidus Pflumm (1874‑1964), zeitweise Beuroner Novizenmeister W.s. Zudem prägte ihn seit dem Theologiestudium in Tübingen ein Freundeskreis, dem der Religionsphilosoph Romano Guardini (1885-1968) und der Kirchenrechtler Karl Neundörfer (1885-1926) angehörten, ebenso der Historiker Philipp Funk und der Romanist Herman Hefele. Dieser weit ausgreifende Radius von Beziehungen zeigt sich in vielen Widmungen in der noch in situ befindlichen umfangreichen Mooshausener Bibliothek. Der damalige Modernismusstreit holte die Tübinger Freunde in der Gestalt ihres indizierten, dann entlassenen Dogmatikprofessors Wilhelm Koch ein; W. selbst stand zeitweise unter dem Verdacht des Modernismus. Seit er nach mehreren Vikarsstellen in der Diözese Rottenburg ab 1917 für fast vierzig Jahre Pfarrer in Mooshausen im schwäbischen Allgäu wurde, entfaltete sich das spätbarocke Pfarrhaus zum Treffpunkt providentieller Freundschaften, u. a. mit Guardini.

Dieser verbrachte regelmäßig zweimal im Jahr Ferien in Mooshausen und fand vom Sommer 1943 bis Herbst 1945 Zuflucht vor der Bombardierung Berlins im Pfarrhaus, bzw. während der Professur an der Universität Tübingen sogar bis 1948 zur Berufung an die Universität München. Guardini legte W. auch regelmäßig Skripten zur Begutachtung vor, so dass sich im Mooshausener Archiv viele Autographen aus seiner Hand befinden. Erhalten ist auch ein umfangreiches Konvolut von 223 Briefen von 1908 bis 1962 an W., die einen außerordentlichen Einblick in die Geisteswelt vor allem des jungen Guardini erlauben, während die Antworten W.s nicht erhalten sind. Über das gastfreundliche Pfarrhaus fällt darin sogar der Satz: „…der einzige Ort, wo ich innere Heimat fühle“ (16. September 1930). Es ist kein Zufall, dass Guardini 1964 seine letzten Fragen in einem Bändchen Theologische Briefe an W. adressierte, denn W. teilte mit ihm sowohl die Anlage zur Schwermut als auch das Leiden an der Endlichkeit.

Im Pfarrhaus wirkten außerdem zwei bedeutende Frauen: von 1917 bis 1927 die Newman-Übersetzerin Maria Theresia Knoepfler (1881-1927) und von den 1950er Jahren an die Bildhauerin und vielfältige Künstlerin Maria Elisabeth Stapp (1909-1995), für die ein eigenes Atelier am Pfarrhaus angebaut wurde. Ein großer Freundeskreis kam in das Haus, darunter der Dirigent Eugen Jochum, der Schriftsteller Joseph Bernhart, die Frauenbundsvorsitzende Gerta Krabbel, der Mitbegründer von Pax Christi, P. Manfred Hörhammer, OFM, der Journalist Ernst Michel, der Tübinger Alttestamentler Fridolin Stier, die Pädagogin Idamarie Solltmann, der Ulmer Maler Wilhelm Geyer und Inge Aicher-Scholl; auch Briefe von Ida Friederike Görres an W. sind erhalten. W. war nicht selten Gast in München-Solln bei Carl Muth, dem Begründer von Hochland, schon wegen dessen räumlicher Nähe zu Gebhard Fugel, dem langjährigen Maler-Freund W.s. W. zelebrierte öfter in Muths Hauskapelle.

Viele Ratsuchende oder am Leben Verzweifelnde kamen während der NS-Zeit nach Mooshausen; im Dorf wußte man von Übernachtungen Unbekannter, die möglicherweise in die nahe Schweiz weiterreisten. W. taufte in der Mooshausener Pfarrkirche St. Johann Baptist drei Jüdinnen, mit denen er brieflich in Berührung blieb: 1928 Rachel (Maria) Oldenbourg (1876-1943) aus München, später Frankreich; 1933 Fanny (Franziska von Chantal) Kempner (1860-1937) aus Berlin, die durch Guardinis Vorlesungen konvertierte, und in den 1930er Jahren Vera Jensch, die über Wien und Stockholm nach England emigrierte.

In dem „300-Seelen-Ort“ Mooshausen entfaltete sich W.s Leben in die Tiefe: in seelsorglichen Rat und in theologische Weisheit, die u. a. in der Tübinger theologischen Schule des 19. Jh.s verwurzelt war: in Hefele, Möhler und Scheeben. Zudem schrieb er naturlyrische Gedichte voll Glück und Schwermut. Seine Bücher, aber auch die unveröffentlichten Briefe, Predigten, Exerzitien, Tagebücher und Vorträge sind nicht ausgeschöpft. Die Beziehung zu Maria, der mütterlichen „Knotenlöserin“ und „Mutter vom guten Rat“, bildete ihn zum geistlichen Menschen und „Staretz“, der Vielen Führung gab. Zugleich sind seine biblischen und patristischen Kenntnisse hervorzuheben; er liebte vor allem Jeremias und Paulus, vertiefte sich in die Gestalten von Maria und Josef, verehrte Konrad von Parzham; seine biblischen Meditationen seit 1954 bei den Künstlertagungen in Beuron waren berühmt. Wenn er vortrug, pflegte er – nach einer Mitteilung des Malers Emil Wachter – zu sagen: „Lieber Freund, setz dich so, dass ich dein Gesicht sehe.“ Wie Guardini schätzte er Augustinus und Newman, las Chrysostomus und wiederholt die Autobiographie von Therese von Lisieux, deren Andenken er sein erstes Marienbuch von 1936 widmete: Mutter des neuen und ewigen Bundes. Über die heilsgeschichtliche und persönliche Größe der Mutter Jesu.

  1. wurde zu Exerzitien, Vorträgen, Rundfunkansprachen eingeladen. Man schätzte seine bibeltheologische Frömmigkeit. Schwerpunkte seines Werkes sind anfänglich drei liturgische Vertiefungen: Liturgisches Marienbuch (1924), Liturgisches Totenbuch (1924) und Liturgisches Wochenbuch (1925), später eine beständig durchdachte Mariologie. Seiner kraftvollen und schönen Sprache und der lebenslangen Befassung mit Maria wegen wurde ihm 1943 die Formulierung des Weihegebetes an die Gottesmutter „in dieser Stunde der Finsternis“ für die ganze Diözese anvertraut. Erwägungen zu kirchlichen Festtagen sammelt der Band Von Ewigkeit zu Ewigkeit (1935, Guardini gewidmet), der aus Predigten sorgfältig herausgearbeitet ist. Das Buch Der Leib Christi in Geschichte und Geheimnis (1950) enthält 18 Briefe über Eucharistie.
  2. wurde bei aller Zurückgezogenheit in seinem Wirken und Werk auch öffentlich anerkannt: Am 22. Februar 1951 promovierte ihn die kath.-theol. Fakultät der Universität Tübingen zum Ehrendoktor. Die Laudatio Fridolin Stiers betonte drei Merkmale: W.s Anregungen der Studien Newmans in Deutschland, sein hochrangiges religiöses Schrifttum sowie „sein stilles, aber weithin in die Tiefe gehendes Wirken als Seelsorger, in immer lebendiger Teilnahme an allem Fragen und Fordern der Gegenwart“ (UA Tübingen 184/643).
  3. wurde grundsätzlich gekennzeichnet als Kirchendenker, schon im Vorblick auf das II. Vaticanum, als Zeitdenker in Auseinandersetzung mit Scheler, Newman, Hugo Ball und Buddha, und als Glaubensdenker, vor allem in der Mariologie, so A. Knoll. Dabei zeichnen sich seine Arbeiten durch eine wohlbedachte und schlichte Sprache aus, in der Bemühung, Theologisches menschlich und ohne begriffliche Kompliziertheit zu sagen. W. gehört zu den Priestern, die das Christentum durch die „Gottesfinsternis“ des halben Jahrhunderts bis an die Schwelle des Konzils trugen.

Das Bronce-Grabmal W.s ist geschmückt mit einem seiner Gedichte und gestaltet von M. E. Stapp, die als letzte „Hüterin“ des Pfarrhauses selbst unfern davon begraben liegt. Seit 1991 arbeitet der Freundeskreis Mooshausen e.V. in Tagungen, Publikationen und Ausstellungen am Erhalt der im Pfarrhaus befindlichen Erinnerungen an den Kreis um W. 2013 wurde das Pfarrhaus aufgenommen in den „Oberschwäbischen Erinnerungsweg“ als eine Stelle des geistigen Widerstands in der NS-Ära.

Q   Personalakte, in: DiözesanA Rottenburg-Stuttgart; Tagebücher („Buch der Erinnerungen“, 37 Bde. Predigten, Briefe, in: Archiv Freundeskreis Mooshausen e.V.

W   Bibliographie in: Alfons Knoll, Verzeichnis d. Schriften J. W.s, in: J. W. (1883-1966), Seelsorger, Theologe, Dichter. Brief aus Mooshausen 2,1997, 31-34. – Auswahl: Liturgisches Marienbuch, 1924; Liturgisches Totenbuch, 1924; Liturgisches Wochenbuch, 1925; Von Ewigkeit zu Ewigkeit, 1935; Mutter des neuen u. ewigen Bundes. Über die heilsgeschichtliche u. persönliche Größe d. Mutter Jesu, 1936; dann u.d.T.: Maria. Die Mutter des Glaubens, 21940, neu hgg. v. E. Prégardier mit Beiträgen von H.-B. Gerl-Falkovitz u. A. Knoll, 2012; Der Leib Christi in Geschichte u. Geheimnis, 1950; Judas Ischariot. Eine Betrachtung, 1951, Maria von Nazareth, 1954; außerdem 5 Kleinschriften, (Werkbund) 1939/1940 u. 37 Aufsätze 1919-1964, sowie d. Sammelband: Der geistliche Mai. Andachten für den Gebrauch d. Gemeinde u. des Einzelnen, hgg. mit R. Guardini u. F. Messerschmid, 1952. Teilveröffentlichung d. Tagebücher W.s in: H.-B. Gerl-Falkovitz (Hg.), Lauterkeit des Blicks. Unbekannte Materialien zu Romano Guardini, 2013.

L   H.-B. Gerl, E. Prégardier, A. Wolf (Hgg.), Begegnungen in Mooshausen: Romano Guardini, Maria Elisabeth Stapp, J. W., Weißenhorn 21990; A. Knoll, J. W. Einblick in sein Denken u. Wollen, in: J. W. (1883-1966), Seelsorger, Theologe, Dichter. Brief aus Mooshausen 2, 1997, 12-30; H.-B. Gerl-Falkovitz (Hg.), „Ich fühle, dass Großes im Kommen ist.“ Romano Guardinis Briefe an J. W. 1908-1964, 2008; dies., Pfarrer J. W. (1883-1966), in: F. Trenner (Hg.), Diener im Weinberg des Herrn. Priesterpersönlichkeiten aus zwölf Diözesen, 2008, 238-242; dies., Ein Freundeskreis u. seine fruchtbaren Folgen. Die Beziehung von Gebhard Fugel zu J. W., Maria Knoepfler u. Romano Guardini, in: Vom Bodensee nach Jerusalem. Gebhard Fugel 150 Jahre, hgg. von d. Stadtgalerie Altötting 2013, 17-19.


Schriften von J. Weiger

Die Schriften wurden anlässlich der » Ausstellung des Freundeskreises im alten Schulhaus von Mosshausen 2011 auf den Tafeln 12.x aufgelistet.

» 12.1. Schriften von J. Weiger

» 12.2. Liturgie- u. Marienbücher

» 12.3. Maria, Josef, Judas Iskariot

» 12.4. Ravensburger Bilderbibel


Marienbuch

Edition Mooshausen

Maria. Die Mutter des Glaubens – Ein Betrachtungsbuch

Dass Benedikt XVI. Schüler von Romano Guardini in den Nachkriegsjahren in München war, ist bekannt und wird von ihm in vielen Ansprachen, in denen dieser Name fällt, unterstrichen. Dass er aber auch Josef Weigers Mariologie las und schätzte, ist neu und sollte zu denken geben. Dieser demütige und verborgene Dorfpfarrer hat offenbar mit seinem biblischen Denken mehr in Bewegung gesetzt, als ihm bewußt war. Der ehrende Beweis des Papstes ist uns Anlass, das bedeutende Buch von Josef Weiger über Maria neu herauszubringen.

4. Auflage 2011, unveränderter Nachdruck der 2. Auflage 1940

PLÖGER Verlag, Annweiler

ISBN 978-3-89857-279-8, 14,80 €

» Auszug aus dem Buch (PDF)


Knoten im Campo Santo Teutonico und anderswo

(Nach der Sylvesterbetrachtung 2002 für Radio Vatikan
von Prof. em. Dr. med. Hans-Bernhard Wuermeling, Erlangen)

Links neben dem Petersdom bewachen die Schweizer Gardisten in ihren malerischen Uniformen den Eingang zum Vatikan. Aber auf unser Zauberwort „Campo Santo Teutonico“ geben sie salutierend den Weg frei, dahin nämlich, wo seit den Zeiten Karls des Großen, also seit zwölf Jahrhunderten bis heute, „Teutones in pace“, Deutsche ihre Friedhofsruhe im Schatten des Petersdomes finden, der Dichter Stefan Andres als einer der letzten. Zum Friedhof gehört die Kirche Santa Maria della Pietà. Wegen einer Marmorplatte suchen wir sie auf, die die Vorderseite ihres Altares bildet. Davon soll unsere Betrachtung ihren Ausgang nehmen.

Der weit mehr als zwei Meter breite Stein war über viele Jahrhunderte mit seiner jetzt nicht sichtbaren Seite als Grabplatte vermauert gewesen. Dadurch ist ihre jetzt sichtbare Seite mit ihrem frühmittelalterlichen Schmuck erhalten geblieben. Da bildet ein Flechtwerk aus Bändern den vielfach unterteilten Rahmen für insgesamt drei mal neun, also siebenundzwanzig schlichte bildliche Darstellungen: Stilisierte Vögel, Rosetten, Trauben, ein Kreuz, Blumen, einen Krebs, Sonne und Mond erkennt man. Aber es geht jetzt nicht um die schwer deutbaren Symbole für das Heilsgeschehen, sondern ihren Rahmen. Dieser besteht aus vielen längeren und kurzen, jeweils in sich geschlossenen Schlingen, die kunstvoll miteinander verflochten, ja regelrecht verknotet sind. Warum aber hat der frühmittelalterliche Künstler seine Bildsymbole in ein System von Knoten eingerahmt und eingeflochten? Unwillkürlich wird man an die von Knoten durchsetzten Illuminationen der alten keltischen Bücher erinnert, aus denen die Initialen der Texte der Evangelien herauswachsen. Paul Wilhelm Wenger, der wortgewaltige Staatsanwalt und Redakteur des Rheinischen Merkur – Ältere werden sich noch an ihn erinnern – hat diese Knoten als die Darstellung der verworrenen und heillos in sich verschlungenen, verhedderten und verstrickten Welt gedeutet, aus der das Wort des Evangeliums erlösend herausführt. So mögen sich auch die Paradiessymbole auf unserer Marmorplatte, die wahrscheinlich einmal als Chorabschrankung gedient hatte, paradiesische Freiräume inmitten eines weltlichen Knotengewirrs geschaffen haben, inmitten aller Verstrickungen von Schuld und Sühne, von Leid und Tod. So gesehen haben Knoten den Aspekt der Fessel, der Einengung, des Verhaftetseins und der Freiheitsbeschränkung. Solche unlösbaren schlimmen Knoten rufen geradezu nach einem, der, wie Alexander der Große, den Gordischen Knoten mit seinem Schwert durchhaut, gewalttätig also, so daß die Fetzen fliegen und das Band, aus dem der Knoten geknüpft war, zerstückelt und zerstört und unbrauchbar wird und mit ihm die ganze Welt, die es eingebunden hat.

An dieser Stelle unserer Betrachtung wechseln wir nun einfach den Ort und finden uns gleichsam flugs in Augsburg in der Kirche St. Peter am Perlach. Dort gibt es ein barockes Altarbild von Christoph Thomas Schaffler. Es stellt Maria dar, umgeben von Engeln, stehend auf der Mondsichel, die Schlange des Bösen zertretend, über sich die Taube des Hl. Geistes. Aber ikonographisch einzigartig ist, daß ihr ein übel verknäueltes und verknotetes Band von links her von einem Engel angereicht wird. Mit leichter Hand entwirrt sie es und läßt es hübsch geglättet und gerade nach rechts hinüber in die Hand eines weiteren Engels gleiten. „Maria Knotenlöserin“ heißt das eigenartige Bild. Es will augenfällig bekunden, daß es der falsche Weg ist, die beengenden Knoten unserer irdischen Existenz gewaltsam mit dem Schwert zu zerhauen. Maria löst diese Knoten dagegen klug und geduldig. Sie kann das als diejenige, deren sich Gott zu unserer Erlösung bedient hat. Josef Weiger, den Pfarrer von Mooshausen im schwäbischen Allgäu, hat dieses auch für ihn bei der ersten Begegnung überraschende Bild zu einem Gedicht veranlaßt, das in unserer Knotenbetrachtung nicht fehlen darf. Die schlichten Worte lauten:

„Maria vom Knoten, wer hätt‘ das gedacht,zum erstenmal heut warst du mir gebracht.

Maria vom Knoten, wer horchte nicht drauf, der Knoten sind viel, die gehen nicht auf.

Maria vom Knoten, wie tröstlich das klingt, es gibt eine Hand, die Knoten entschlingt.

Maria vom Knoten, den Knäuel hier schau, ich bring ihn nicht auf, hilf, heilige Frau!

Maria vom Knoten, der Knäuel bin ich, ins Letzte verwirrt, o erbarme dich!“

„Der Knoten bin ich“, sagt Pfarrer Weiger – der Mensch sein eigenes, rätselvolles, an sich leidendes Problem.

Die religiösen Darstellungen auf der Steinplatte im Campo Santo Teutonico und in der Knotenlöserin, der Mutter vom guten Rat, in Augsburg zeigen ebenso wie die keltischen Illuminationen erlösende Darstellungen aus den Verknotungen des Irdischen. Aber es gibt auch noch ganz andere Knoten. Solche, die die Menschen nicht als das verstanden haben, wovon und woraus sie erlöst werden müßten, sondern vielmehr als Darstellungen der Erlösung selbst. So wie in dem alten Gedicht „Ich bin din, du bist min“ von der „Verknotigung“ der Liebe die Rede ist, so symbolisieren diese Knotendarstellungen die erlösende Verknüpfung von Himmel und Erde, von Gott und Mensch, christlich gesprochen die liebende Zuwendung Gottes zum Menschen, indem der Gottessohn sich einschlingt und einschlingen läßt, geradezu einknotet. Um solch einen Knoten zu sehen, kann man sich nach San Zeno in Verona oder besser noch in den Georgenchor des Bamberger Domes begeben. Denn dort formensich in einzelnen steinernen Säulenbündeln regelrechte Knoten. Genau betrachtet werden sie dadurch gebildet, daß von unten aufsteigende Stränge je eine Schlinge bilden, die Knotenfachleute sagen eine „Bucht“, und wieder nach unten ziehen. Und umgekehrt kommen von oben Stränge herab, bilden ebenfalls Buchten und steigen wieder auf. Keiner der Stränge von oben berührt auch nur einen der Stränge von unten oder geht etwa ganz darin über; aber die jeweils von ihnen gebildeten Schlingen sind durch ein vielfach gewundenes, in sich geschlossenes Steinband unauflöslich miteinander verknotet. Der Himmel wird damit an die Erde und die Erde an den Himmel angebunden. Der Mensch, von unten kommend, wird von dem in die Welt gekommenen Gottessohn verläßlich von oben gehalten. Jene steinernen Knoten in San Zeno in Verona und im Bamberger Dom kann man als Zeichen dafür ansehen, daß der der Welt verhaftete Mensch aus irdischer Materie durch den Gottessohn als Mittler von Gott gehalten wird. Man kann aber in der Deutung  ohne allzu große religiöse Bemühung noch weitergehen und das in sich geschlossene Band, das die von oben kommenden himmlischen Stränge der Säulen mit ihren von unten kommenden irdischen Strängen kunstvoll und unlösbar verknüpft, auch als ein Sinnbild für den Menschen ansehen. Wir wissen sicher von ihm, daß er sich nicht im Irdisch-Materiellen erschöpft, sondern vielmehr in eine über die Materie hinausgehende Welt eingebunden ist, was eben seine Würde ausmacht.

Der Satz von Pfarrer Weiger: „Der Knoten bin ich“ ist also nicht nur der Notruf des Menschen in den Verstrickungen dieser Welt. Sondern dieser Satz kann auch der Jubelruf des gottgeschaffenen und, sofern er sich als Christ versteht, auch des erlösten Menschen sein, der sich seiner re-ligio, seiner Rückbindung, seiner Anbindung an den Schöpfer dieser Welt erfreut.

Die Knoten in Bamberg und Verona, die Knotenlöserin in Augsburg, die keltischen Knoten und die im römischen Campo Santo Teutonico, sie alle sind verbindende Strukturen. Die einen erschienen uns wie Fesseln, die es zu sprengen gilt. Die anderen erscheinen uns eher als das, woran und womit man sich halten kann. Für die Menschen kommt es darauf an, einerseits die sie fesselnden Knoten in Ihrem Lebensweg zu lösen, und andererseits, daß sie die ihnen haltgebenden Knoten begreifen und finden, Knoten und Bindungen, die ihnen Sicherheit verleihen. Wichtig bleibt dabei, zu erkennen, welche Knoten vorsichtig zu lösen sind und welche man kräftig festzurren muß


Josef Weiger zum 50. Todestag am 27. August 2016

„…so fühlen die Menschen bei Dir Zuhause.“

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Die Tagespost, Samstag 27. August 2016

„Es ist gar nicht so einfach. Einen Menschen zu zeichnen ist eine schwere Aufgabe; denn bei jedem Menschen kommt man an eine innere Grenze, die man nicht überschreiten kann, die man nicht überschreiten darf. Jeder Mensch hat Anspruch darauf, ehrfürchtig behandelt zu werden bis ins Letzte.“ So Josef Weigers eigene Worte, als er seinen Malerfreund Gebhard Fugel charakterisieren sollte. Auch sein eigenes Porträt ist nicht leicht einzufangen, da er im heutigen Blick meist im Schatten seines großen Freundes Romano Guardini steht. Dabei war er selbst ein Genie der Freundschaft. Denn seit er im September 1917 Pfarrer in Mooshausen im schwäbischen Allgäu wurde, entfaltete sich das spätbarocke Pfarrhaus zum Gehäuse großer Begegnungen: mit dem Dirigenten Eugen Jochum, dem Maler Wilhelm Geyer, dem Kapuziner und Pax-Christi-Gründer Manfred Hörhammer, der Schriftstellerin Ida Görres, dem Theologen Joseph Bernhart, dem Journalisten Ernst Michel, dem Tübinger Alttestamentler Fridolin Stier und auch mit – Fritz Heidegger, der zum 80. Geburtstag 1963 einen Gruß an den „hochverehrten Meister“ schrieb. Weiger war selbst nicht selten Gast bei Carl Muth, dem Begründer von Hochland, in München-Solln und zelebrierte öfter in Muths Hauskapelle.

Der Lebenslauf ist bald erzählt: Geboren wurde er 1883 auf dem hochgelegenen Schloß Zeil bei Leutkirch im schwäbischen Allgäu; im Rückblick auf seine Eltern sprach er von väterlich-strengem Gesetzesdenken des Alten Bundes und mütterlicher Milde des Neuen Bundes. Er verbrachte zwei Jahre als Novize in Beuron, studierte darauf Theologie in Tübingen und im Rottenburger Priesterseminar, wurde 1911 zum Priester geweiht und diente anschließend als Vikar. Von 1917-1957 wirkte er als Pfarrer in Mooshausen, einer Gemeinde von 300 Seelen, die er trotz anderer ehrenvoller Angebote nicht verlassen wollte. Maria Knoepfler (1881-1927), die bekannte Newman-Übersetzerin, führte ihm dort bis 1927 den Haushalt, später trat die Bildhauerin Maria Elisabeth Stapp (1908-1995) bestimmend und helfend in sein Leben. Auch den Ruhestand verbrachte Weiger, von mancherlei psychosomatischen Leiden und von Schwermut heimgesucht, in dem Dörflein und durchlitt dort seine letzte Krankheit. Er starb am 27. August 1966, zwei Jahre vor Guardini, wie dieser 83 Jahre alt geworden.

Das Grab im Schatten des Kirchturms wird überragt von einer Bronzeplatte, geschaffen von Maria Elisabeth Stapp, worauf die selbstgedichteten Verse De profundis stehen: „Flehende Worte fahnden nach dir, / öffne die Pforte, Herr Gott, zu dir. / Neige dein Ohr und höre mich, / nimm meine Last, ich bitte dich. / Scheuche mein Dunkel, erbarme dich. / Löse die Fesseln gnädiglich! / Dürre geworden, betaue mich, / geistlicher Quell, belebe mich, / und berge, Heiliger, den Müden/ in deinem ewigen Frieden.“

Freundschaft und Denkweg mit Romano Guardini

Im November 1906 lernte Weiger im Tü­binger Wilhelmsstift Guardini kennen. Welch tiefeingewurzelte, lebens‑ und werkbestimmende Freundschaft von 60 Jahren daraus entstand, ist aus einem wohlüberlegten Wort des späten Guardini zu ersehen: Ich „grüße Dich in einer Denk‑Gemein­schaft, deren Dauer das halbe Jahrhundert schon überschritten hat.“

Weiger erinnert sich der Schicksalsstunde mit großer Genauigkeit: „Als ich den Hörsaal öffnete, saß nur ein Hörer da; ich kannte ich nicht. Nach dem Aussehen mußte es ein Italiener sein. Ich setzte mich zu ihm; und sofort hatten wir Kontakt. Er konnte so herzlich lachen, der Unbekannte, und der schwäbische Witz und auch die schwäbische Art gefielen ihm. Die Derbheit des Stammes genierte ihn nicht. Die Italiener seien genauso kräftiglich in ihren Worten. (…)Wie es kam, weiß ich nicht mehr, aber wir gerieten in ein lebhaftes theologisches Gespräch, in dem die Liturgie und ihr Wesen eine große Rolle spielte. (…)  In meinem Eifer und in meiner leidenschaftlichen Parteinahme für Beuron übergoß ich Romano wie mit siedendem Wasser.“

So nahm er 1907 den neuen Freund von Tübingen aus mit nach Beuron – für diesen eine völlig neue umstürzende Welt. Letztlich verdankt sich ihr sogar Guardinis genialer Erstling Vom Geist der Litur­gie (1918). Bei Weiger heißt es: „Und damals fiel wirklich ein Samenkorn in einen Geist, den sich Gott für eine weitverzweigte Tätigkeit vorbehalten hat. Heute noch empfinde ich dankbare Genugtuung, daß ich das Werkzeug sein durfte, Romanos theologischen Werdegang in entscheidender Stunde entscheidend zu beeinflußen.“

Ein schattenhaft begleitendes Problem in Tübingen war der Modernismusstreit. Guardini zeichnete Weigers Haltung so, daß er „wohl gegen die Unfrei­heit und Geistlosigkeit des Herkömmlichen opponiert (hatte…); er dachte aber nicht daran, die religiöse Tiefe und autori­täre Kraft der Tradition loszulassen“.  Gu­ardini war regelmäßig im Jahr zweimal in Mooshausen, im Frühjahr und im Herbst, zu Gedankenaustausch und Er­holung, berührt vom Frieden und der Geistigkeit des Hauses und der Lieb­lichkeit der Landschaft. Sein dort entstandener Aufsatz „Kanal an der Iller“ im Sammelband In Spiegel und Gleichnis (1932) bezeugt eine fast überirdische Landschaftserfah­rung. Vom Sommer 1943 bis Herbst 1945 fand Guardini überhaupt Zuflucht in dem Pfarrhaus vor der Bombardierung Berlins. Schon früher heißt es bemerkenswert: „Ich freue mich sehr auf Dich und Dein Haus. Dort ist schließlich doch der einzige Ort, wo ich innere Heimat fühle.“ (16.9.1930) Und einige Wochen später: „…aber dennoch hast Du die Kraft der breiten Wurzeln und der Äste, die aus dem Irgendwo den umhüteten Raum herausformen, und so fühlen die Menschen bei Dir Zuhause. Ich aber bin immer draußen.“ (2.11.1930)

Guardini hat viele seiner Bücher, bevor er sie zum Druck gab, mit seinem Freund besprochen. Daß dieser ihn so neidlos loben und uneigennützig ver­bessern konnte, ja daß er ihn bei aller Gemeinsamkeit und Nähe als den Größeren erkannte, macht Weigers eigene Größe aus. Über Guardinis Buch Die menschliche Wirklichkeit des Herrn gibt es Weigers freundschaftliches Zeugnis und noch mehr die sachliche Ermutigung, die Guardini bei aller Selbstein­schätzung (und gleichzeitigen Unsicherheit) immer wieder brauchte: „Ich kann nur hoffen, daß dieses kleine schmale Buch Weltgeltung bekomme, d. h. in die Kultur­sprachen der Menschheit übertragen wird. Gott hat Dir, wie dem Apostel, eine Türe aufgetan, wie keinem anderen Theologen. Ohne die Liebe zur theo­retischen Wahrheit auch nur eine Sekunde preiszugeben, öffnet deine kun­dige Hand leise den Zugang zur Christuswirklichkeit Tausenden … ich weiß nicht, lieber Romano, ob Du den Abstand zu den Theologen spürst. Sie versu­chen es, Dich ein wenig auszuplündern. Aber Deine Sprache ist so geformt und geprägt, so Stil im höchsten Verstand – da gibt es keine Imitation … und es fehlt so ganz der klerikale Ton, den ich gar nicht mehr ertrage.“ (1958) Oder auch: Deine „[Universitäts‑]Predigten sind für das XX. Jahrhundert, was die sermones Newmans für das XIX. gewesen sind.“ (1959)

Wohl wenige konnten Guardini gegenüber einen so herzlich zugetanen und warmen Ton anschlagen. Weigers Brief zu Guardinis Geburtstag 1950 enthält den Satz: „Weißt Du, erst wenn der Freund krank ist, merkt man, wie lieb man ihn hat.“

Der geistliche Mensch

Viele Ratsuchende, am Leben Verzweifelnde kamen zu dem Dorpfarrer, auch während der Nazizeit; im Dorf wußte man damals von Übernachtungen Unbekannter. Guardini sandte aber auch nicht selten von Berlin aus jene, die ihn um Rat angingen oder konvertieren wollten und denen er sich in seiner Arbeits­last nicht gewachsen fühlte, zu seinem Freund; so schrieb er einem jungen Mann: „Aber möchtet Ihr nicht ein­mal mit einem Manne reden, dem ich persönlich ganz vertraue, und der gei­stig wie menschlich ganz offen und reich ist?“ (30.12.1927) Weiger taufte in der kleinen Pfarrkirche St. Johann Baptist drei Jüdinnen, mit denen er brieflich in Berührung blieb: 1928 Rachel (Maria) Oldenbourg (1876-1943) aus München, später in Frankreich; 1933 Fanny (Franziska von Chantal) Kempner (1860-1937) aus Berlin, die durch Guardinis Vorlesungen zum Christentum geführt wurde, und in den 1930er Jahren Vera Jensch, die über Wien und Stockholm nach England emigrierte.

So entfaltete sich in diesem einfachen, ja einförmigen Leben, geborgen in dem wundervollen geräumigen Pfarrhaus Weigers Leben in die Tiefe: in seelsorglichen Rat, in theologische Weisheit, die u.a. in der Tübinger theologischen Schule des 19. Jahrhunderts verwurzelt war: in Hefele, Möhler und Scheeben. Zudem schrieb er naturlyrische Gedichte voll Glück und Schwermut. Seine Briefe, Predigten, Bücher (darunter eine bedeutende Mariologie), Exerzitien, Gedichte sind noch nicht ausgeschöpft. Seine Beziehung zur mütterlichen „Knotenlöserin“ und „Mutter vom guten Rat“ Maria bildete ihn zum geistlichen Menschen, der selbst anderen Führung gab. Seiner kraftvollen und schönen Sprache und der lebenslangen Befassung mit Maria wegen wurde ihm 1943 die Formulierung des Weihegebe­tes an die Gottesmutter „in dieser Stunde der Finsternis“ für die ganze Diözese anvertraut.

Weiger wurde grundsätzlich gekennzeichnet als Kirchendenker (schon im Vorblick auf das II. Vaticanum), als Zeitdenker (in Auseinandersetzung mit Scheler, Newman, sogar Buddha) und als Glaubensdenker, vor allem in der Mariologie. Dabei zeichnen sich seine Arbei­ten durch eine wohlbedachte und schlichte Sprache aus, in der Bemühung, Theologisches menschlich und ohne begriffliche Übersteigerung zu sagen. Weiger wurde bei aller Zurückgezogenheit doch einmal in sei­nem Wirken und Werk öffentlich anerkannt: Im Februar 1951 promovierte ihn die katholisch‑theologische Fakultät der Universität Tübingen zum Ehrendoktor. Die Laudatio Fridolin Stiers betonte drei Merkmale: Weigers Anregungen der Studien Newmans in Deutschland, sein hochrangiges religiöses Schrifttum sowie „sein stilles, aber weithin in die Tiefe gehendes Wirken als Seelsorger, in immer lebendiger Teilnahme an allem Fragen und Fordern der Gegenwart“.

Ohne wissenschaftlicher Exeget sein zu wollen, hat Weiger kraft seiner geistigen Durch­dringung von Glaubensfragen viele Suchende berührt. Bei der Beerdigung sagte sein Freund Franz Weber: „Pathetik und Triviali­tät waren dem Feinempfindenden in gleicher Weise zuwider. Sein riesiges Wissen weitete sich zur Weisheit aus. Seine adelige Seele ließ sich in kein Schema pressen.“ Und nochmals Guardini, der in den „Briefen über Selbstbildung“ (1925) das berühmte Kapitel über „Gastfreundschaft“ auf das Mooshausener Pfarrhaus münzte: „Das ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn: daß einer dem anderen Rast gebe auf dem Weg in das ewige Zuhause.“


Gedenkkarte des Freundeskreis Mooshausen e.V.

zum 50. Todestag von Pfarrer Weiger


Von Förstern, Jägern und Schlössern

Vortrag und Kulturfahrt auf den Spuren von Josef Weiger und seiner Familie

» Programm-Faltblatt (pdf)

Freitag, 3. Mai 2024:

Vortrag von Prof. i.R. Dr. Alfons Knoll im Alten Pfarrhaus Mooshausen zum familien- und kulturpolitischen Hintergrund des Mooshausener Pfarrers Josef Weiger

» Vortrag (YouTube®)

 

Samstag, 4. Mai 2024:

Kulturfahrt mit Prof. i.R. Dr. Alfons Knoll nach Gutenzell und Schloß Zeil

Wie passen Förster, Jäger, Schlösser und Pfarrer zusammen? Was haben sie mit dem Auftrag des Freundeskreises, das Erbe der ehemaligen Bewohner des alten Pfarrhauses von Mooshausen zu bewahren, zu tun? – Diesen Fragen stellte sich am Freitagabend der erste Vorsitzende, Prof. i. R. Dr. Alfons Knoll, im gut gefüllten Seminarraum des alten Pfarrhauses mit seinem profunden, haarklein recherchierten Vortrag zum familien- und kulturgeschichtlichen Hintergrund des Pfarrers Josef Weiger. Mit dabei: fünf Nachfahren der ehemals in Gutenzell ansässigen Weiger-Familie, der auch der Vater von Josef Weiger, Rufname Cäsar, entstammte. Die Lebensgeschichten der fünf Förster namens Johannes nebst ihren Nachkommen, die meisten mit mehreren eindrucksvollen und aufschlussreichen Vornamen bedacht, wurden dem interessierten Publikum kenntnis- und bilderreich vorgestellt. Mit Cäsar Weiger hielt Alfons Knoll Einzug „bei Hofe“: Als Domänendirektor auf Schloß Zeil machte sich der Vater von Josef Weiger bei der fürstlichen Familie überaus verdient. Er ist noch heute hochgeschätzt im fürstlichen Hause, wie am Folgetag deutlich zu vernehmen war.

Die Kulturfahrt am Samstag führte zunächst zu den Wurzeln, sprich nach Gutenzell. Mit seiner überaus sach- und fachkundigen Führung füllte Franz-Josef Sipple gemeinsam mit seiner Frau Rosi die Bilder des Vortrags vom Freitagabend mit prallem Leben. Zwei Herzen schlagen in Franz-Josef Sipples Brust: das ganz menschliche und, apodiktisch und leidenschaftlich, das des Gutenzeller „Buben“, der sich voll und ganz der Geschichte seines Heimatortes verschrieben hat. So wandelte die Gruppe aufgrund der frischen und mitreißenden Erzählungen von Franz-Josef Sipple im wahrsten Sinn des Wortes nicht nur auf den Spuren der Weiger’schen Försterfamilien, sondern erfuhr auch Spannendes über weitere interessante Gutenzeller Gestalten – und nicht zuletzt, in der Klosterkirche, dem Überbleibsel der einstigen Reichsabtei, von den ehemals dort ansässigen, mächtigen Zisterzienserinnen. Ein kurzer Blick in die Schränke mit den ebenso beeindruckenden wie berühmten barocken Figuren der Gutenzeller Krippe beendete den Besuch an diesem Ort.

Der Samstagnachmittag stand ganz im Zeichen des schwäbischen Hochadels. Seine Durchlaucht Erich Fürst von Waldburg zu Zeil und Trauchburg höchstpersönlich gab der Mooshausener Reisegruppe die Ehre und hieß sie in seinem Heim willkommen: Schloß Zeil – beliebtes Ausflugsziel, nicht zuletzt wegen des grandiosen Alpenpanoramas, welches, bei geneigtem Wetter, von der Aussichtsterrasse am Rande des Schloßparks aus zu bestaunen ist. Der Archivar des Waldburg-Zeil’schen Gesamtarchivs, Rudolf Beck, geleitete die Mitreisenden zum zweiten Höhepunkt des Tages und berichtete umfangreich und höchst interessant über diesen im Verborgenen des Schlosses – zu Recht – streng gehüteten, außergewöhnlichen Schatz: Der Weiger’schen Krippe. Vierzig Jahre hat Cäsar Weiger mit Zähigkeit und Liebe an ihr gebaut. Sie war seine Erholung, seine zweite Welt, seine absolute Leidenschaft – jedem Besucher absolut nachvollziehbar, wenn er vor ihr – eigentlich mittendrin – steht und sich Figur um Figur auf Entdeckungsreise begeben darf.

Der Tag fand seinen Abschluss in einer unter der Leitung von Alfons Knoll und unter Mitwirkung von Marc Grießer zelebrierten heiligen Messe, die auch die fürstliche Familie mitfeierte. Seine Durchlaucht ließ es sich nicht nehmen, „seine“ Gäste anschließend auch wieder persönlich zu verabschieden.

Diese beachtenswerte Veranstaltung wird sicher noch lange als herausragendes Ereignis unter den Veranstaltungen des Freundeskreises im Gedächtnis der Reisegruppe bleiben und für Gesprächsstoff, nicht nur im Pfarrhaus, sorgen.

Kehren wir gedanklich nochmal zurück nach Gutenzell und beenden den Bericht über diesen geradezu fürstlichen und ganz unter der Gunst des Petrus stehenden Tages mit einem Gedicht des Gutenzeller Heimatdichters Andreas Jörg. Er setzte dem Förster Julius Weiger, der seinen Ruhestand in Gutenzell verbrachte und dort im Jahr 1932 verstarb, dieses poetische Denkmal:

Ich bin der alte Jägersmann, seh ich nicht grad so aus.
Julius, das ist mein rechter Nam‘, so nennt man mich zu Haus.
Doch gibt es Leute auf der Welt, die sagen ab und zu,
wenn ich so geh durch Wald und Feld: „Jetzt kommt der Wald-Uhu.“
Ich bin fast immer, Tag und Nacht, im großen Waldrevier,
das Wild nimmt sich vor mir in acht, mich kennt ein jedes Tier.
Und geht ein Mann auf Frevler-Bahn kann es mich sehr verdrießen,
treff‘ ich ihn an dem Tatort an, muss er es bitter büßen.
So ist der Wald halt meine Welt, ist mir wie Leib und Leben,
ich würd‘ ihn nicht für alles Geld der Erde von mir geben.
Wie ist er doch zur Sommerzeit so schön im grünen Kleide,
und auch im Winter, wenn es schneit, birgt er gar manche Freude.
Und klopft mir mal der Knochenmann, sag ich: „Du kommst zu bald,
halt noch ein kleines Weilchen an, ich muss noch in den Wald.
Da kannst du mich in einer Stund‘ ganz sicher holen ab,
denn drüben in dem Eulengrund, da hab‘ ich längst mein Grab.
Dort, wo der Eichbaum mächtig steht, wo springt der munt’re Quell,
das Wild auch oft zur Tränke geht und Vöglein singen hell,
wo Efeu rangt am Stamm empor grad wie im Märchenland
und an den Zweigen kroch empor, zum Dache sich verband,
da leg ich mich dann frank und frei grad wie ich bin hinein,
es muss die Flinte und das Blei im Grabe bei mir sein.
Hier bleib ich, bis der Jagdherr spricht der Weltenförsterei,
und dieses überhör‘ ich nicht: „Der letzte Schuss ist frei.“
Dann steig‘ ich aus dem Grab empor und mach‘ den letzten Schuss,
und dann geh ich durchs Himmelstor zum ew’gen Jagdgenuss.

[Text und Bilder: Christa Krämer]