Mooshausen Medien » MM Weitere Personen - Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz zum 70. Geburtstag

Festakt an der Technischen Universität Dresden

Bis 2011 war Frau Prof. Gerl-Falkovitz Inhaberin des Lehrstuhls für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft an der Technischen Universität Dresden.

Zu Ehren ihres 70. Geburtstags fand, organisiert von der „Arbeitsgemeinschaft Religionsphilosophie Dresden e.V. (ARDD)“, am 1. Dezember 2015 ein Festakt mit Laudatio von Karl Kardinal Lehmann statt. Außerdem sprach dort unser 2. Vorsitzender, Prof. em. Dr. Dr.hc. multi Hans Maier, Staatsminster a.D., ein Grußwort.

Die ARDD hat ausserdem eine Festschrift herausgegeben, zu der auch der Freundeskreis Mooshausen e.V. und einige seiner Mitglieder gespendet hatten.



Freundeskreis Mooshausen e.V. (RE)

Festakt zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in Dresden

Am 23.November 2015 feierte die 1. Vorsitzende des „Freundeskreis Mooshausen e.V.“, Frau Prof. Dr.Dr.h.c. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, ihren 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass hatte die „Arbeitsgemeinschaft Religionsphilosophie Dresden e.V.“ zu einem Festakt zu Ehren der Jubilarin eingeladen, der am 1.Dezember 2015 im reichlich gefüllten Hörsaal der Technischen Universität Dresden stattfand.

Bereits beim ersten Grußwort von Professor Rentsch vom Institut für Philosophie wurde deutlich, welche überragende Bedeutung die Übernahme des Lehrstuhls für Religions-philosophie und Vergleichende Religionswissenschaft durch Frau Professor Gerl-Falkovitz im Jahr 1993 für die akademische Landschaft Sachsens hatte. Professor Rentsch erinnerte „an viele Jahre erfolgreichen Aufbaus und an die außergewöhnliche Leistung in dieser gravierenden Umbruchsituation“. Dank der langjährigen exzellenten Arbeit auf dem Gebiet von Forschung und Lehre sei es gelungen, im Rahmen des Neuaufbaus „eine gravierende Lücke im Bereich der europäischen Kultur-und Vernunftgeschichte zu schließen“.

Diözesanadminstrator Andreas Kutschke entfaltete anhand der Heilung der zehn Aussätzigen (Lk 17, 11-19) durch Jesus Christus eine tiefgehende Betrachtung über die Dankbarkeit. An der denkwürdigen Tatsache, dass von den zehn Geheilten nur einer zurückkehrt, um Jesus zu danken, zeige sich exemplarisch, was zur Dankbarkeit vorausgehend und ermöglichend gehöre. Als zur Vernunft begabtes Lebewesen sei der Mensch in der Lage zu denken. Denkerische Reflexion sei die Voraussetzung für Dankbarkeit, die jedoch stets gefährdet sei durch den Anschein der Selbstverständlichkeit oder die Ablenkungen des Alltäglichen. Die etymologisch nahe verwandten Begriffe Denken und Danken stehen für die wissenschaftlich-intellektuelle Arbeit, ja für das gesamte Lebenswerk von Professor Gerl-Falkovitz. Dankbar habe sich die Geehrte 1993 nicht nur der Universität, sondern auch den Menschen und Institutionen Dresdens und Sachsens zugewandt. Sie sei eben gerade keine „allein im Elfenbeinturm sitzende Koryphäe“ gewesen, sondern habe allen Menschen, die ihr begegnet seien, neue Denkhorizonte erschlossen. Der Diözesanadministrator dankte herzlich für den vielfältigen Dienst an der Wissenschaft, an den Studenten und allen Menschen im Bistum Dresden-Meißen: „Möge Ihnen aus unserem Dank weiterhin die Kraft für Ihren Lebensweg und Ihr wissenschaftliches Wirken erwachsen. Denn letzter Adressat unserer Dankbarkeit ist ja ER, der alle unsere Wege in seinen Händen hält. Gott segne Sie und alle, die Ihnen nahe stehen – ad multos annos!“

Pater Clemens Maaß SJ als Leiter der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen überbrachte herzliche Glück-und Segenswünsche und dankte für die beständige Begleitung und Unterstützung der Akademie seit ihrer Gründung vor 15 Jahren. Das kontinuierliche Engagement der Jubilarin für die Akademie, das in seiner intellektuellen Tiefe und Weite aus der festen Verwurzelung im christlichen Glauben entspringt, sei in seiner Bedeutung für die Universität, die Akademie und die Erwachsenbildung sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart von unermesslicher Bedeutung. Frau Professor Gerl-Falkovitz verkörpere in persona katholische Intellektualität. „Frau Professor Gerl-Falkovitz, wir freuen uns über Sie und mit Ihnen!“

Frau Dr. Katharina Seifert, Präsidentin der „Edith- Stein- Gesellschaft Deutschland e.V.“ hob zunächst die internationale Bedeutung der Wissenschaftlerin Gerl-Falkovitz hervor; sichtbar zuletzt Ende Oktober 2015 während der Internationalen Konferenz zur Anthropologie Edith Steins an der Universität Wien und der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedict XVI in Heiligenkreuz. „Sie hat gerufen und die Edith-Stein Forschenden kamen aus Nord- und Südamerika, Asien und Europa“. Frau Dr. Seifert erinnerte daran, dass die Jubilarin zu den Mitinitiatoren für die Gründung der Edith-Stein Gesellschaft im Jahr 1994 gehörte, von 1994 bis 2015 Vizepräsidentin der Gesellschaft war und als Mitherausgeberin der 24-bändigen Edith-Stein-Gesamtausgabe (ESGA) internationale Forschung überhaupt erst ermöglicht habe. Das Grußwort endete mit einem Zitat der Hl. Edith Stein, mit dem Frau Dr.Seifert vielen Teilnehmern des Festakts aus dem Herzen sprach, weil sich darin die Person der Jubilarin und ihr segensreiches Wirken an der Universität, in der Edith Stein Gesellschaft und an vielen anderen Orten wiederfindet: „Weil von jedem Menschen, der an Gottes Hand geht, Ströme lebendigen Wassers ausgehen, übt er eine geheimnisvolle Anziehungskraft auf dürstende Seelen aus. Ohne es anzustreben, muß er anderen, die zum Licht streben, Führer werden, geistliche Mutterschaft üben und Söhne und Töchter für das Gottesreich erzeugen und heranziehen.“

Professor Hans Maier überbrachte die Grüße und Glückwünsche der Universität München sowie des Freundeskreises Mooshausen. Ausgehend von frühen Begegnungen in den 80er Jahren auf Burg Rothenfels und der Zusammenarbeit am Guardini-Lehrstuhl, wo die Jubilarin nach Studium und Promotion seine erste Assistentin war, stellte Professor Maier die enge und langjährige persönliche Verbundenheit über den gesamten Zeitraum des wissenschaftlichen Werdegangs von Professor Gerl-Falkovitz in den Mittelpunkt. Eine besondere Bedeutung habe dabei das alte Pfarrhaus in Mooshausen, in dem es seit Gründung des Freundeskreises 1993 während vieler Vorträge, Kolloquien und Tagungen zu einem intensiven geistigen Austausch gekommen sei. In diesem Kontext stellte Professor Maier dankenswerterweise allen Teilnehmern des Festaktes den Freundeskreis Mooshausen und dessen Anliegen in einem Kurzporträt vor. Von den mit dem Pfarrhaus verbundenen Persönlichkeiten, deren geistiges und künstlerisches Erbe bewahrt und erneuert werden soll, sei Romano Guardini für die Jubilarin sowohl existentiell wie wissenschaftlich zum Lebensthema geworden und stehe in dieser Hinsicht gleichberechtigt neben Edith Stein. Nach der Würdigung der Forschungsleistungen der Biographin Romano Guardinis, die ohne Mooshausen in ihrer Fülle nicht vorstellbar wären, dankte Professor Maier unserer 1.Vorsitzenden im Namen aller Mitglieder des Freundeskreises in bewegenden Worten: „Ich wünsche Ihnen zum 70.Geburtstag Glück, Gesundheit und Gottes Segen. Ich freue mich, Ihnen in meinem Leben begegnet zu sein. Ich danke Ihnen für die vielen Anregungen, die ich von Ihnen in meinem Leben empfangen habe. Und ich hoffe, Sie werden in zehn Jahren auch noch die viermal zwanzig erreichen, die quatre-vingts, wie die Franzosen höflich und charmant sagen. Man soll ja der Güte Gottes, meinte Konrad Adenauer, nie eine Grenze setzen.“

Der mit Spannung erwartete Festvortrag von S.E. Kardinal Karl Lehmann übertraf alle Erwartungen. Der Festredner schlug in grandioser Weise einen biographischen Bogen, beginnend mit der Geburt kurz nach Kriegsende im oberpfälzischen Oberwappenöst, Schulbildung und Abitur, Studium der Philosophie, Germanistik und Politischen Wissenschaften in München und Heidelberg, der Promotion zum Dr.phil. bei Ernesto Grassi und der Habilitation 1979 über italienische Renaissancephilosophie. Ihre Tätigkeit als Studienleiterin auf Burg Rothenfels wurde ebenso gewürdigt, wie ihre Lehrtätigkeit als Privatdozentin an den Universitäten in München, Bayreuth, Tübingen und Eichstätt bis hin zur Professur für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Weingarten 1989, als Inhaberin des Lehrstuhls für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft an der TU Dresden von 1993 bis 2011 und das aktuelle akademische Wirken am EUPHRat im Zisterzienserstift Heiligenkreuz im Wienerwald. Besonders hob der Laudator die Verdienste von Professor Gerl-Falkovitz bei der Erforschung und Herausgabe der Werke Romano Guardinis und Edith Steins hervor. Insbesondere die herausragende Biographie über Romano Guardini habe „auf Jahrzehnte hinaus ein Maß für die Guardini-Forschung aufgerichtet“ und die Jubilarin weit über die Fachphilosophie hinaus bekanntgemacht. In der Deutung von Person und Werk Guardinis durch Professor Gerl-Falkovitz „spricht Romano Guardini selbst, trotz aller zeitlicher Distanz, sehr nahe zu uns.“ Professor Gerl-Falkovitz habe verdienstvollerweise das Denken Romano Guardinis „in seiner konkreten geschichtlichen Situation der Nachwelt verständlich gemacht“. Neben der Mitarbeit an der internationalen Guardini-Gesamtausgabe in 27 Bänden habe die editorische Tätigkeit vieler Texte von Romano Guardini eine besondere Bedeutung, z.B. die frühen Vorlesungen in Bonn und Berlin „Lauterkeit des Blicks“ oder des Briefwechsels mit Josef Weiger „Ich fühle, daß Großes im Kommen ist“. Die Jubilarin leiste „bei aller eigenen Kompetenz und Genialität v.a. auch anderen Geistesverwandten einen großen Dienst“ und sei „bei aller staunenswerten Fruchtbarkeit nicht auf ihr eigenes Werk versessen und werde „nicht zuletzt durch diese Kenntnisse selbst immer weiter, universaler und einfühlsamer“. Dies alles zeige sich in bestechender Weise in den Verdiensten von Professor Gerl-Falkovitz um das Werk der großen jüdischen Philosophin Edith Stein. Die Jubilarin habe mit großer Sorgfalt und hohem Einfühlungsvermögen die Person, das Denken, die Spiritualität und mit feiner Sensibilität das Lebensschicksal erforscht und verständlich gemacht. Sie habe den Denkstil Edith Steins in seiner „Sachlichkeit und Nüchternheit gekennzeichnet“ und dadurch den Zugang zu dieser „intelligenten Heiligen“ eröffnet und ganz besonders auch deren tiefe Theologie des Kreuzes skizziert, mit der Edith Stein in den Tod ging.“ Diese Studie habe, besonders in den zehn Jahren zwischen Seligsprechung und Heiligsprechung ganz gewiss das Verständnis für Edith Stein und deren Rang und damit zum wachsenden Ansehen der Heiligen beigetragen. Es sei daher nicht verwunderlich, dass die wissenschaftliche Leitung der Herausgabe der ESGA in den Händen von Professor Gerl-Falkovitz lag.

Frühzeitig habe Professor Gerl-Falkovitz auch das Frauenbild beschäftigt, wobei sie sich nicht nur an der wichtigen Frauenforschung beteiligt habe, sondern „nach einer eigenen Wesensbestimmung der Frau sucht, ohne deswegen die genauere Kenntnis der Beziehung zwischen Mann und Frau auszuschließen oder gar einseitig aufzulösen“, wobei auch hier der Bezug zum Werk Romano Guardinis und zu Edith Stein zu erkennen sei. Exemplarisch nannte der Laudator die Bücher „Freundinnen“ und die Textauswahl „Keine Frau ist ja nur Frau“, um auf die aktuelle Diskussion zum Frauenbild durch „Gender“ überzugehen und auch hierbei die Verdienste von Professor Gerl-Falkovitz hervorzuheben, u.a. als Autorin des Buches „Frau – Männin – Menschin“. Selbstkritisch merkte der Laudator an, dass es schade sei, dass die Positionen der Jubilarin zu diesem Thema „leider auch im christlich-kirchlichen Raum nicht so konsequent und praktisch werden, wie es notwendig, plausibel und heilsam wäre. Wir hätten uns manches ersparen können, wenn wir frühzeitiger auf Ihre Gedanken geachtet hätten.“

Die Jubilarin stehe in der Vielfalt und Breite ihres wissenschaftlichen Wirkens ganz bewusst im Strom eines umfassenden europäischen Denkens. Es betreffe „viele Bereiche unserer Wirklichkeit und unserer Wahrnehmung, wie die Ethik, die Ästhetik, die Religionsphilosophie, den interreligiösen Dialog, weite Teile der Theologie und vieles mehr“. Kardinal Lehmann schloss den Festvortrag mit den Worten:

„Wir danken Ihnen Frau Professor Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz für ihr über 18jähriges Wirken in Dresden. Sie waren im Sinn der klassischen Überlieferung eine Lese-und Lebemeisterin. Vielen Menschen haben Sie in Fragen des menschlichen Daseins zu Licht, Leben und Sinn verholfen. Wir danken Ihnen auch über Christen hinaus für ihr Lebenswerk. Ihren Schülern und Hörern danken wir für die Gründung der ‚Arbeitsgemeinschaft Religionsphilosophie‘ Dresden, die Ihr Erbe nach Möglichkeiten fortführen. Wir wünschen Ihnen und Ihrem Ehegatten Herrn Professor Hans-Bernhard Wuermeling Gottes Segen für die Zukunft, für Leib und Seele. Ein herzliches „Vergelt’s Gott“ für ihren großen Dienst.“

Der Festakt fand seinen Abschluss durch die Übergabe der von Frau Dr. Beate Beckmann-Zöller und Herrn Dr. René Kaufmann herausgegebene Festschrift „Heimat und Fremde -Präsenz im Entzug“, die hervorragende lesens-und nachdenkenswerte Beiträge von Schülern, Mitarbeitern, Kollegen und Weggefährten der Jubilarin enthält. Die Herausgabe der Festschrift wurde durch großherzige Spenden von Einzelpersonen, von Vereinen, u.a. dem Freundeskreis Mooshausen sowie der Zisterzienserabtei Heiligenkreuz und dem Bistum Dresden-Meißen ermöglicht und ist über den Verlag „Text Dialog“ (ISBN 978-3-943897-17-3) zu beziehen. Prädikat: Sehr empfehlenswert.


Hans Maier

Grußwort beim Festakt zum 70. Geburtstag

von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

in Dresden am 1. Dezember 2015

Liebe Frau Gerl-Falkovitz, lieber Herr Kardinal, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!

In der Reihe der Grußwortredner bin ich glücklicherweise der letzte. Nur wenige Minuten trennen Sie also noch von der mit Spannung erwarteten Rede von Kardinal Lehmann. Ich bringe die Grüße des Freundeskreises Mooshausen aus Oberschwaben in die sächsische Hauptstadt mit – und ich darf zugleich als Ältester in dieser Runde einen Bogen schlagen zur frühen, zur jungen Hanna-Barbara Gerl, die ich in Rothenfels und in München in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts kennen gelernt habe.

Sie war 1988 meine erste Assistentin am Guardini-Lehrstuhl der Universität München, und ich habe ihren weiteren wissenschaftlichen Weg nach Weingarten und Dresden aufmerksam begleitet. Ständig verbunden waren wir durch die Begegnungen im Alten Pfarrhaus in Mooshausen. Dort haben wir seit 1989 in Tagungen, Ausstellungen und Publikationen gemeinsam versucht, das Andenken der Persönlichkeiten zu erneuern, die mit diesem Haus verbunden waren: neben Josef Weiger und Romano Guardini Maria Knoepfler, die Übersetzerin der Schriften von John Henry Newman, und Maria Elisabeth Stapp, die Bildhauerin.

Der Mooshausener Kreis reichte im Dritten Reich auch in den Widerstand hinein, er stand mit Erwin und Nelly Planck, Wilhelm Geyer und mit Hermann Binder in Verbindung. So wurde das Pfarrhaus vor zwei Jahren auf Initiative von Wolfgang Marcus als Denkort in den Oberschwäbischen Erinnerungsweg aufgenommen. Romano Guardini hat in diesem Haus auch sein Buch „Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik“ geschrieben, das 1946 erschien. Es ist ein Versuch, das Phänomen Nationalsozialismus religionsphilosophisch zu erschließen – wohl der einzige, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit unternommen wurde. Romano Guardini nahm darin den „Heilbringer der zwölf Jahre“ – Adolf Hitler – als quasi-religiöse Figur so ernst wie kein Autor vor ihm. Er ist für ihn der mythische Usurpator, der im Verblassen des christlichen Bewusstseins in der Gegenwart von der allgemeinen Sinnleere profitiert, der in einer krisenhaften, zur Entscheidung drängenden Zeit die messianischen Erwartungen der Massen auf sich zieht. Das „Heil“ – allgegenwärtig im „Heil-Hitler-Gruß“ – spielt in Guardinis Analysen eine Schlüsselrolle. Mit ihm drang der Usurpator bestimmend in den Alltag, in den täglichen Umgang der Menschen miteinander ein – was in dieser Dichte und Penetranz nicht einmal anderen zeitgenössischen Diktatoren wie Lenin, Mussolini und Stalin gelang.

Romano Guardini bildet ein Lebensthema von Hannah-Barbara Gerl-Falkovitz – existentiell wie wissenschaftlich. Es steht gleichberechtigt neben ihrem anderen Lebensthema Edith Stein. Als Burgleiterin in Rothenfels war sie so ja so etwas wie die Nachfolgerin Guardinis am Ort seiner größten unmittelbaren Wirkung auf die junge Generation. Als Biographin hat sie das nicht einfache Leben und Denken des italienisch-deutschen Theologen und Philosophen gründlich und quellennah erschlossen. Der Brief- und Manuskriptbestand von Mooshausen hat ihr dabei geholfen, das Generalthema durch zahlreiche, oft überraschende Seitenthemen zu bereichern. Wüssten wir zu Beispiel ohne die Mooshausener Briefe etwas von Guardinis Verhältnis zu Richard Wagner, von der offen bekannten Faszination durch sein Werk?

Liebe Frau Gerl-Falkovitz, ich wünsche Ihnen zum 70. Geburtstag Glück, Gesundheit und Gottes Segen. Ich freue mich, Ihnen begegnet zu sein, ich danke für die vielen Anregungen, die ich von Ihnen empfangen habe. Ich hoffe, Sie werden in zehn Jahren auch noch die vier-mal-zwanzig erreichen, die quatre-vingt, wie die Franzosen die Achtzig charmant und höflich umschreiben. Man soll ja der Güte Gottes – wie Konrad Adenauer sagte – nie eine Grenze setzen!


Elisabeth Prégardier

 

 Romano Guardini:

„Mooshausen – meine innere Heimat“

 

Beitrag zur Festschrift „Heimat und Fremde -Präsenz im Entzug“

Infos zur Festschrift » hier

 

 

  1. Eine Entdeckung vor dreissig Jahren

 In der 2005 herausgegebenen Festschrift Scientia et Religio hatte der Freundes­kreis Mooshausen e. V. Gelegenheit, das Wirkungsfeld seiner ersten Vorsitzenden Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz vorzustellen[1]. Der Bericht umfasste die Zeit von 1997 bis 2005, also acht Jahre. Es gibt besondere Gründe, in dem nun folgenden Artikel einen größeren Rahmen von 30 Jahren zu spannen, nämlich von 1985 bis 2015. In der von ihr 1985 veröffentlichten Biographie Romano Guardini 1885-1968. Leben und Werk[2] beschreibt die Autorin nur kurz seine Zwangspause von 1943-1945 in Mooshausen. Briefe mit der Bitte um Information über den Aufenthalt Guardinis in Mooshausen an die im Pfarrhaus von Mooshausen leben­de Künstlerin Maria Elisabeth Stapp und Hüterin des im Haus befindlichen Erbes waren unbeantwortet geblieben. Erst nach Erscheinen der Biographie kam es zu einem persönlichen Kontakt mit ihr und einem ausführlichen Gespräch. In deren Notizbuch ist am 27. Februar 1985 zu lesen: Sehr schöner Tag mit Barbara Gerl! So begann die Wiederentdeckung des ersten mit den Namen von Josef Weiger und Romano Guardini verbundenen Freundeskreises in dem beschaulichen oberschwä­bischen Dorf Mooshausen.

Wenige Monate später, am 22. Juni, vermerkte Maria Elisabeth Stapp in ihrem Kalender: Elisabeth Prégardier, Essen, kommt nach Mooshausen. War ein sehr wichti­ger Tag! Grund des Besuches war die Bitte um die Gestaltung eines Reliefs der hl. Rosa von Lima, Patronin von Lateinamerika, aus Anlass des 25jährigen Bestehens der Bischöflichen Aktion ADVENIAT, bei der die Verfasserin beschäftigt war. We­der Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, noch die Verfasserin konnten damals ahnen, daß sich aus diesen ersten Begegnungen ein nun dreißigjähriges intensives Engage­ment entwickeln würde mit einem wachsenden neuen Freundeskreis und vielen in die Zukunft weisenden Aufgaben.

Das Gedicht von Gottfried August Bürger „Die Schatzgräber“[3] kann verdeutli­chen, wie der Schatz von Mooshausen nach nunmehr dreißig Jahren von 1985 bis 2015 gehoben wurde.

 

Ein Winzer, der am Tode lag,
rief seine Kinder an und sprach:

In unsrem Weinberg liegt ein Schatz;

grabt nur danach! — An welchem Platz?

Schrie alles laut den Vater an.

Grabt nur! Oh weh! Da starb der Mann.

 

Da beide Entdeckerinnen 1985 noch voll berufstätig waren, kamen nur gelegentli­che Besuche in Mooshausen zustande. Aber von Mal zu Mal wurde deutlicher, was gesichtet, geprüft und registriert werden müsste. Erst mit der besseren Kenntnis der vorliegenden Dokumente konnten Fragen formuliert werden, deren Beant­wortung von Maria Elisabeth Stapp hätten erfolgen können. Doch hier geht es wie in der Schatzgräbergeschichte: Im Mai 1988 erlitt die Künstlerin einen heftigen Schlaganfall, der sie rechtsseitig lähmte und sie nach und nach zur Sprachlosigkeit verurteilte. Es gelang noch, ihre Zustimmung durch Nicken zur Herausgabe der Publikation Begegnungen in Mooshausen (1989) und zur Gründung des Freundes­kreises Mooshausen e. V. (1993) zu erlangen; dann verstummte sie die vielen Jahre bis zu ihrem Tod.

Am Patronatstag der „Mutter vom guten Rat“, der jahrhundertelangen Wall­fahrtstradition von Mooshausen, am 26. April 1995, starb die Bildhauerin Ma­ria Elisabeth Stapp 87jährig im Seniorenheim St. Josef in Altshausen. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Friedhof der Kirchengemeinde St. Johann Baptist in Mooshausen. Dort befinden sich auch die Gräber von Pfarrer Dr. Josef Weiger (1883-1966) und Pfarrer Josef Bärtle (1892-1949). Erbe und Auftrag gingen an den Vorstand des Freundeskreises Mooshausen, der diese Verpflichtung in der Wei­se wahrnimmt, wie sie 1989 der Bischof von Rottenburg-Stuttgart Dr. Walter Kas­per in seinem Vorwort zu Begegnung in Mooshausen ausgesprochen hat:

Das Mooshausener Pfarrhaus stellt innerhalb der Diözese Rottenburg-Stuttgart ein einzigartiges bauliches und geistiges Dokument von großer Bedeutung für den Ka­tholizismus in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts dar. […] Von Mooshausen ist eine Fülle spiritueller, theologischer, künstlerischer und menschlicher Anregungen ausge­gangen. Die Diözese freut sich über den Besitz eines Hauses von solcher Ausstrahlung über viele Jahrzehnte hinweg von der vorkonziliaren Aufbruchszeit der 20er Jahre an bis in die unmittelbare Gegenwart.“[4]4

 

  1. Kurzer Rückblick

Nachdem die Künstlerin das Pfarrhaus 1988 aus Krankheitsgründen verlassen hat­te, wurde dieses vollständig entkernt und mit einem neuen Zuschnitt wieder er­richtet. Erst 1997 konnten die ausgelagerten Möbel, die große Bibliothek und die zahlreichen Kunstwerke wieder ins Haus geholt werden und es wurde zu offenen Veranstaltungen eingeladen. Bis einschließlich 2015 gab es 150 solcher Angebote zu folgenden Sachgebieten:

  1. Josef Weiger/Romano Guardini/Maria Knoepfler/Josef Bärtle und weitere, dem ersten Freundeskreis verbundene Persönlichkeiten.
  2. Maria Elisabeth Stapp.
  3. Frauengestalten.
  4. Dichter und Denker.
  5. Zeitgeschichte.
  6. Musik.
  7. Weltrelgionen.
  8. Ethik und Bildung.
  9. Besinnung zu den liturgischen Zeiten.
  10. Vor Ort — Heimat.
  11. Philosophisch-theologische Sommerwoche / „Nightfever“-Akademie

Dankbar blicken wir zurück auf 19 themenreiche Jahre mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dank gilt allen engagierten Referenten und Referentinnen, insbesondere dem 2. Vorsitzenden der Freundeskreises, Prof. Dr. Hans Maier mit seinen Beiträgen zur Zeitgeschichte und zahlreichen daraus resultierenden Publikationen.[5]

Um nochmals auf das Schatzgräbergedicht zurückzukommen, »in unserm Wein­berg liegt ein Schatz“: durch eifriges Forschen in den Kisten des Nachlasses nach Dokumenten und Bildern sowie Recherchieren in der Literatur und im Diözesan­archiv war es möglich, in Verbindung mit den Veranstaltungen im ehemaligen Schulhaus von Mooshausen Plakat-Ausstellungen zu folgenden Themen zu prä­sentieren:

2007 Alfred Delp (1907-1945), Märtyrer für ein neues Deutschland.
2009 Gebhard Fugel, Evangelist mit dem Pinsel.
2011 Ida Friederike Görres (1901-1971), Aus Liebe an der Kirche leiden.
2011 Josef Weiger (1883-1966), 40 Jahre Dorfpfarrer in Mooshausen von
2013 Das Pfarrhaus von Mooshausen und die Weiße Rose.
2014 Carl Muth (1867-1944) und die Zeitschrift HOCHLAND.
2016 Josef Bärtle (1892-1949) Heimat — Bildung — Bibel (in Vorbereitung).[6]

Seit vor dreißig Jahren durch anscheinend zufällige Besuche die historische Be­deutung der Bewohner und der Freunde des Mooshausener Pfarrhauses entdeckt wurden, rückte der mit diesen verbundenen kirchlichen Aufbruch der zwanziger Jahres des letzten Jahrhunderts immer mehr ins Blickfeld. Vieles an Aufarbeitung des Nachlasses ist inzwischen geschehen, vor allem an der biographischen Erfas­sung der fünf Mooshausen prägenden Persönlichkeiten.[7] Dies betrifft in erster Li­nie Publikationen und zahlreiche Artikel über Josef Weiger, Romano Guardini und Maria Knoepfier. Der künstlerische Nachlass von Maria Elisabeth Stapp im Hause und weit darüber hinaus bedarf noch eines detaillierten Werkverzeichnisses. Die jahrzehntelang verschwiegene Persönlichkeit des aus Mooshausen stammenden Priesters und einstigen Direktors des Katholischen Bibelwerkes Stuttgart Josef Bärtle (1935-1945) harrt noch neuer Aufmerksamkeit.

Ein weiteres wichtiges Element bedarf noch der Erwähnung: Am 16. März 2013 wurde am Alten Pfarrhaus Mooshausen der Oberschwäbische Erinnerungsweg er­öffnet. Bischof Dr. Gebhard Fürst enthüllte die am Pfarrhaus angebrachte erste Ta­fel dieses Weges mit seinen über 70 an die NS-Verbrechen erinnernden Denkorten. Erst mit diesem bedeutenden Ereignis ist der Anteil insbesondere von Josef Weiger und Romane, guardini am geheimen Widerstand und der Verbindung zur Weißen Rose deutlich und öffentlich geworden. Dieser kurze Rückblick schließt mit einem herzlichen Dank an die Diözese Rottenburg-Stuttgart für die Übernahme von Kos­ten für den Standort des Freundeskreises Mooshausen e. V. im ehemaligen Pfarr­haus und die damit verbundene Ermutigung, diese Arbeit in Zukunft fortzusetzen.

 

  1. Romano Guardini: Mooshausen – meine innere Heimat

Die seit der Studienzeit 1907 in Tübingen mit Josef Weiger begonnene Freund­schaft führte Romano Guardini auch an die Orte, an denen Josef Weiger seel­sorglich tätig war. Während dessen zweijähriger Vikarszeit in Wangen im Allgäu trat Maria Knoepfler, Müllerin und Newman-Übersetzerin, in seinen Blick, In ihr Gästebuch trug er unter dem Datum vom 9. Februar 1913 ein: „quasi tristes, semper autem gaudentes… (2 Cor 6,10)“ — [uns wird Leid zugefügt, und doch sind wir jederzeit fröhlich.] Es begann eine Freundschaft von geistlicher und geistiger Tie­fe mit der sprachlich hochbegabten, philosophisch und theologisch interessierten Müllerin, deren Newman-Übersetzungen wissenschaftlichen Rang erlangten. Ma­ria Knoepfler folgte 1917 Josef Weiger als Haushälterin zu seiner Pfarrstelle nach Mooshausen. Bis zu ihrem tragischen frühen Tod 1927 unterstützte sie ihn darüber hinaus bei seiner seelsorglichen Arbeit in dem überschaubaren Dorf und begleitete ihn bei seinen theologischen und biblischen Studien. Maria Knoepfler prägte die Atmosphäre des Pfarrhauses mit seinen vielen Gästen. Als Romano Guardini 1921 in seinen Briefen über die Selbstbildung Wesentliches über die Gastfreundschaft schrieb, war das eine Widerspiegelung seiner Erfahrungen im Mooshausener Pfarr­haus, die in dem Satz gipfelten: „Sieh, dies ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn: Daß ein Mensch dem andern Rast gäbe auf der großen Wanderschaft zum ewigen Zuhaus“[8]. Was ihm Draußen und Drinnen, Fremde und Heimat bedeuteten, erläuterte er in dem genannten Brief:

Mit dieser Gastfreundschaft kann es auch geschehen, daß der hereingekommen ist, nicht wieder hinauszugehen braucht, daß er drinnen bleiben kann und für immer eine Heimat findet, im Vertrauen, in der Treue. Schön ist das alles und ist ein Gleichnis von etwas gar Hohem. Was Gastfreundschaft wert ist, weiß nur, wer von draußen her kommt, aus der Fremde[9].

Damit bestätigte er, was er zuvor 1920 in einem Brief an seinen Freund zum Aus­druck gebracht hatte: „Lieber Josef, zunächst einen herzlichen Gruß Maria und Dir, und dass ich rechtes Heimweh nach Mooshausen habe, ’s ist bald der einzige Ort, wo ich zu Haus bin“[10]. Nach 10 erfüllten Jahren wurde den beiden Freunden Maria Knoepfler 1927 durch ihren unerwartet frühen Tod entrissen. „Ihr Tiefs­tes wurzelt im Glauben. Das habe ich von ihr gelernt, fürs Leben, und sage ihr dafür ehrfürchtigen Dank“, schrieb Romano Guardini in seinem ausführlichen Nachruf.[11]

Als Maria Knoepfler so unerwartet verstarb, erlebte Josef Weiger den Verlust einer ebenbürtigen Gedanken- und Gesprächspartnerin in langer, schmerzlicher Schwermut. Roman Guardini machte seinen Freund auf die zweite Namenspat­ronin von Maria aufmerksam, die heilige Thérèse von Lisieux. Noch heute finden sich aufgereiht in der Bibliothek des Pfarrhauses die ihn tröstenden vielen deut­schen und französischen zeitgenössischen Schriften über die „Heilige des kleinen Weges“.

Ab 1930 führte die Nachbarin und Schwester von Josef Bärtle, Mina Bärtle, den Pfarrhaushalt und sorgte für den Schmuck der kleinen Dorfkirche. Die neugewon­nene Häuslichkeit kam alsbald gleich zweimal in Briefen von Romano Guardini an seinen Freund zum Ausdruck Aus Isola Vicentina schrieb er am 30. September 1930: „Ich freue mich sehr auf Dich und Dein Haus. Dort ist doch schließlich der einzige Ort, wo ich innere Heimat spüre. Viele Dinge habe ich mit Dir zu bespre­chen. […] Auf baldiges frohes Wiedersehen! Dein Romano.“[12] Rückblickend auf diesen Besuch schrieb er aus Berlin am 2. November:

Liebster Joseph, es ist Sonntagabend, und ich denke mit großem Verlangen an Dich und dann Dein liebes Haus, und an die wunderbare Gabe, die Dir, lieber Freund, Gott geschenkt hat: die Heimatkraft. Ich weiß ja, daß etwas in Dir anderswo ist; aber dennoch hast Du die Kraft der Wurzeln und der breiten Äste, die aus dem Irgendwo den umhü­teten Raum herausformen, und so fühlen die Menschen bei Dir Zuhause. Ich aber bin immer draußen. Ich habe Verlangen heim, und bringe es nicht fertig, daß Heim wird. Auch jetzt ist keins. […1 Aber ich habe ja geschrieben, weil ich Dir und auch Frl. Mina danken wollte, und tue es aus ganzem Herzen, für die schöne erquickende Zeit in Moo­shausen. Sehr schön war sie, und hat mir wohl getan im Gemüt und auch kräftiglichst am Leibe. Seitdem geht es mir besser. Nun bleibt es hoffentlich so. […] Dein Romano.[13]

In Mooshausen, nur einen kleinen Spaziergang vom Pfarrhaus entfernt, kommt er zu einer 1930 niedergeschriebenen tiefgründigen Betrachtung: „Wir haben ein kleines Reich entdeckt, mein Freund und ich — und dabei liegt es ganz frei, ist sogar genau durchgerechnet und sorgsam überwacht. Trotzdem sind wir überzeugt, daß es verborgen ist, und man es entdecken muß, wie alle schönen Dinge“[14]. Der Text – Kanal an der Iller – ist ein der zu Mooshausen gehörenden Kostbarkeiten.

Das in demselben Artikel erwähnte Wegkreuz zwischen Mooshausen und Has­lach „Der verlassene Herrgott“ wurde am Dreifaltigkeitssonntag 1937 mit einem neuen Corpus versehen, zu dessen Einweihung Romano Guardini über das „Kö­nigtum Christi und unsere Treuegefolgschaft“ sprach. Aus dem von 1930 bis 1945 geführten Predigtbuch“[15] der kleinen Gemeinde St. Johann Baptist geht hervor, dass von 74 mit Thema registrierten Predigten 41 von Guardini gehalten worden sind. Über den gesamten Zeitraum seiner Besuche in Mooshausen von 1918-1965 wer­den es darüber hinaus sehr viel mehr Predigten gewesen sein. Eine seiner Predigten ist sogar als Audio-Datei erhalten und wurde abgeschrieben. Es handelt sich um die Festtagsansprache zum 50. Priesterjubiläum von Josef Weiger am 16. Juli 1961:

Fünfzig Jahre sind eine lange Zeit. Es ist viel geschehen in diesen fünfzig Jahren in der großen Welt. […] Auch ich persönlich hätte manches beizutragen, denn seit über fünfundfünfzig Jahren sind wir in einer nie getrübten Freundschaft verbun­den, und seit er diese Gemeinde hier übernommen hat, bin ich fast jedes Jahr Gast gewesen. Und als in Berlin mir meine Arbeit zerstört wurde, habe ich für zwei Jahre hier Unterkunft gefunden. Es wäre also für ein persönliches Gedenken Stoff genug da. Aber ich glaube, lieber Freund, auch in deinem Sinne zu handeln, wenn ich das Persönliche weglasse und von dem spreche, dem Du durch so lange Zeit deine Sorge zugewandt hast, nämlich von der Gemeinde.[16]

Wenngleich im Dorf die Erinnerung an Pfarrer Weiger und seinen Freund Pro­fessor Guardini verblaßt ist, so gibt es doch in dem Dorfkirchlein ein bleibendes Gedenken mit einem schönen Barock-Crucifixus, den Guardini 1936 der Gemein­de aus Anlaß der Restaurierung schenkte. Eine schöne, holzgeschnitzte Tafel mit dem Porträt der hl. Thérèse von Lisieux ist die Stiftung einer jüdischen von Gu­ardini in Berlin geistlich begleiteten Frau, die sein Freund in Mooshausen getauft hat. Sie und weitere namentlich bekannten Frauen wurden hier in die katholische Kirche aufgenommen.

Nahezu 50 Jahre war Romano Guardini Mooshausen, seiner inneren Heimat, durch die Freundschaft mit Josef Weiger verbunden. Die Gesamtzahl seiner Auf­enthalte ist nicht bekannt. Was ist sichtbar geblieben? An erster Stelle, die 223 erhaltenen nach Wangen und Mooshausen gesandten Briefe, 2008 von Han­na-Barbara Gerl-Falkovitz veröffentlicht unter dem Titel: Ich fühle, daß Großes im Kommen ist[17].

Dann das schon erwähnte Kruzifix in der Dorfkirche, sowie das 1949 von dem russischen Maler Viktor Ostroumov geschaffene Porträt — es hängt heute in dem Zimmer des Pfarrhauses, das Guardini von 1943-1945 bewohnte —, und einige sehr eindrucksvolle Farbfotos von seinem letzten Besuch 1965 in Mooshausen, ein Jahr vor dem Tod von Josef Weiger. Erwähnt werden sollen auch seine dem Freund geschenkten Möbel mit Schreibtisch, Bücherschränken und Regalen. Eine besondere Präsenz stellen in einem Bücherschrank die vielen handschriftlich ge­widmeten Publikationen dar, Zeugnisse der ungezählten Gespräche, Aussprachen und schriftlichen Konsultationen mit seinem ihn am tiefsten verstehenden Freund. Literatur in Briefform diente in jener Zeit häufig dem Gedankenaustausch, so darf man davon ausgehen, dass bei der Abfassung einiger Werke Josef Weiger mit sei­nem gastfreundlichen Umfeld dem Autor vor Augen stand. Dabei handelt es sich um die Briefe vom Comer See (1923-1925)[18], Die Mutter des Herrn (1955)[19] und die Theologischen Briefe an einen Freund (1963-1966)[20].

 

  1. Die Jahre des Verstummens

Unter diese Überschrift stellte Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in ihrer Guardi­ni-Biographie die Jahre von 1939 bis 1945[21]. Alfons Knoll beschrieb in seinem Ar­tikel „Folgenreiche Begegnungen. Romano Guardini in der Diözese Rottenburg[22] in dem Abschnitt Berlin und Mooshausen den Ablauf der Ereignisse, die Romano Guardini im Herbst 1943 zu einem zweijährigen Aufenthalt in dem kleinen Dorf führten. Ebenfalls in diesen Zusammenhang gehört der Artikel von Michael Höhle „Romano Guardini in Berlin[23]. Die Absicht des nachfolgenden Beitrages besteht nicht darin, schon Gesagtes zu wiederholen, sondern einige bislang unbekannte Mosaiksteine und Beobachtungen hinzufügen.

Die politische Entwicklung seit 1933 verdrängte in Berlin den hochangesehe­nen Hochschullehrer für christliche Weltanschauung aus seinem Amt und seinen weiteren Aufgaben: 1939 Aufhebung des Lehrstuhls, 1941 Konfiszierung der Burg Rothenfels und Betätigungsverbot, 1941 Verbot der Zeitschrift Die Schildgenossen und generelles Redeverbot. Hinzu kamen die zunehmenden Bombardierungen. Noch bevor Guardini im Herbst 1943 ein Zimmer im gastlichen Pfarrhaus von Mooshausen bezog, gelang es ihm durch das Entgegenkommen des Grafen von Schaesberg, seine Möbel im nahegelegenen Schloß in Tannheim unterzubringen. Schriftliche Zeugnisse darüber, wie Guardini seinen mehrjährigen Zwangsaufent­halt in Mooshausen empfand, sind spärlich und von Resignation geprägt. Inzwi­schen im 60. Lebensjahr angekommen, schrieb er 1944/45 Berichte über mein Le­ben, in deren Einleitung es heißt:

Ich bin nun seit eineinhalb Jahren hier, in Mooshausen, einem kleinen Dorfe im schwä­bischen Allgäu. In dieser Zeit ist das Heimweh nach der akademischen Lehrtätigkeit, mit der ich abgeschlossen zu haben glaubte, wieder sehr gewachsen. Im Frühjahr 1939 wurde der Lehrstuhl aufgehoben — vor etwa einem halben Jahre habe ich in Stuttgart, eingeladen von der dortigen Hölderlin-Gesellschaft, in einem Hörsaal der technischen Hochschule einen Vortrag über ‚Die Landschaft in Hölderlins Dichtung‘ gehalten. Eigentlich war es das einzige Mal, daß ich mich seitdem ganz an meinem Platz gefühlt habe. Niemand weiß, was die Zukunft bringt: wer weiß, vielleicht werde ich doch noch einmal gerufen.[24]

Die beiden Jahre in Mooshausen sind von außen gesehen nahezu ereignislos. 1944 konnte er nach 23 Jahren wieder seine Heimatstadt Mainz besuchen. Bislang nicht bekannt war jedoch sein Engagement für das Katholische Bibelwerk Stuttgart im Lauf der beiden Jahre. Der aus dem Nachbarhaus in Mooshausen stammende Priester Josef Bärtle, Bruder der Haushälterin Mina Bärtle, war seit 1935 Leiter dieser Institution. Trotz der scharfen Observierung durch die Gestapo und Ein­schränkung der Druck- und Bildungstätigkeit organisierte Bärtle eine weitreichen­de Vortragstätigkeit in den deutschen Diözesen und die Versorgung der Front­soldaten mit biblischem Schriftgut. Auch Guardini hielt Vorträge in der Diözese Rottenburg, die ihm der Vorstand am 14. Februar 1944 mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft dankte. Die Urkunde hat auch heute noch ihren Ehrenplatz im Pfarrhaus. Angesichts der Zunahme der Luftangriffe auf Stuttgart riet Guardini Josef Bärtle, die wichtigsten Dokumente des Bibelwerkes in Mooshausen sicher­zustellen. Wenige Zeit darauf, am 26. Juli 1944, brannte bei einem großflächigen Bombenabwurf auf Stuttgart die Geschäftsstelle in der Kronenstraße vollständig aus. Das Bibelwerk behielt seinen Standort in Mooshausen bis zum tragischen Un­falltod von Josef Bärtle am 6. Mai 1949 in seinem Heimatdorf.

Romano Guardini, die Nummer 1 auf einer von Hanna-Barbara Gerl-Falko­vitz eingesehenen Gestapo-Liste[25], wurde selbstverständlich auch in Mooshausen hinsichtlich Briefverkehr, Besucher und Bewegung im lokalen Umfeld beobachtet. Der mit dieser Aufgabe in Aitrach Betraute meldete sich nach dem Krieg bei Guar­dini und versicherte ihm, er habe nichts an die übergeordnete Stelle berichtet, was ihm oder auch Pfarrer Weiger hätte schaden können. An dieser Stelle muss auch der kaum bekannte Widerstandskreis erwähnt werden, der sich um Pfarrer Bruno Ziegler[26] im nahe Mooshausen gelegenen Treherz scharte. Bei den Literatur-Ge­sprächskreisen ging es nicht nur um Goethe, Hölderlin und Dostojewski, sondern ebenfalls um die ernsten Zeitfragen. Zu den Teilnehmern gehörten auch Hermann Binder, der von den Nazis abgesetzte Direktor des Stuttgarter Eberhard-Lud­wigs-Gymnasiums und seine Frau Hanna Binder-Kommer. Hätte die Gestapo das von ihr gemalte große Michaelsbild entdeckt, auf dem der Erzengel den Drachen, Vollstrecker des Bösen, mit seiner deutlich erkennbaren Hitlerfratze niedersticht, wäre es um alle Mitglieder der Gruppe geschehen.

Zu den Besuchern in Mooshausen während der beiden Jahre über das lokale Umfeld hinaus liegt keine dokumentierte Kenntnis vor. Mit Sicherheit war Joseph Bernhart[27] aus Türkheim häufiger Gast, auch der eine oder andere Quickbomer auf seinem Fronturlaub. Manche Besucher blieben unerkannt, wahrscheinlich das Pfarrhaus als Zwischenstation auf einer Flucht nutzend. Erwähnenswert ist der kurze Besuch von Annie Kraus[28] um die Weihnachtszeit 1943, einer von Max Josef Metzger getauften Jüdin, die sich in Berlin von Guardini geistlich begleitet wusste und seine Vorträge gehört hatte, jedoch 1943 untertauchen musste, weil ihr Name auf einer Liste für den Transport in den Osten stand.

Wir wissen auch nicht, ob überhaupt und auf welchen Wegen Guardini Kennt­nis von der Hinrichtung von Pfarrer Alfons Maria Wachsman[29] und Max Josef Metzger[30] durch Enthauptung in Brandenburg-Görden erhielt, desgleichen vom Tod Erwin Plancks[31], der ihm durch die Förderung der Bildungsarbeit auf Burg Rothenfels während der Weimarer Zeit verbunden gewesen war. Vom letzten Kriegstag in Mooshausen berichtete Josef Weiger in seiner Pfarrchronik:

Am 26. April 1945, morgens ¾8h Überfall eines feindlichen Jagdbomben-geschwa­ders auf Mooshausen. — SS in den Wäldern. Der Angriff war furchtbar. Ein Regen von Brandbomben ging auf das Dorf nieder. […] Das Pfarrhaus hat fast in jedem Zim­mer Einschüsse. Das Fahrrad von Frl. Bärtle wurde im hinteren Zimmer zuschanden geschossen. Wie durch ein Wunder ist kein einziger Mensch zu Schanden gekommen. Die Flieger kamen tief herunter. […] Am Abend desselben Tages 17h20 hatte der Krieg in Mooshausen ein Ende. 17h20 fuhren amerikanische Panzertruppen durch das Dorf. Der 26. April ist der Tag der Mutter vom Guten Rat. Wir wollen diesen Tag in Ehren halten.[32]

Im Herbst 1945 erhielt Romano Guardini durch den Kulturbeauftragten Carlo Schmid den Ruf an die Philosophische Fakultät der Universität Tübingen. Zu den Wochenenden kam er häufig nach Mooshausen zurück und gab sein Zimmer im Pfarrhaus erst 1948 mit seiner Übersiedlung nach München auf.

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz[33] und Alfons Knoll[34] geben ausführliche Darstel­lungen, wie sich Romano Guardini gleich dem Zusammenbruch des Nationalso­zialismus durch zahlreiche Vorträge in den geistigen Wiederaufbau Deutschlands einbrachte. An herausragender Stelle ist zu nennen seine Rede zum Gedächtnis von Sophie und Hans Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf und Prof. Kurt Huber am 4. November 1945 in München [35] 1953 vermerkte Guardini nach einem Besuch in Mooshausen in seinem Tagebuch:

Als ich in mein Zimmer eintrat, habe ich wieder sehr an die zwei Jahre gedacht, die ich 1943-45 dort verbracht habe. Welch ein Unterschied gegenüber Berlin! Manches Schwere, besonders die schreckliche Krankheit von M. B. [Mina Bärtle], die ja dann starb, als ich in Tübingen war. In den beiden Jahren habe ich Freiheit, Gnade, Schick­sal geschrieben, d. h. seine letzte Redaktion — ich glaube, die achte — und, ebenso in letzter Redaktion, das ,Jahr des Herrn‘.[36]

Natürlich sind noch eine Reihe weiterer Titel zu nennen, deren Vorarbeiten Gu­ardini nach Mooshausen 1943 mitgebracht hatte, solche, die in Mooshausen ent­standen und solche, die für eine spätere Publizierung konzipiert worden sind.[37] Stellvertretend für die Einzelbeurteilung möge gelten, was Guardini Weihnachten 1945 in Mooshausen als Vorbemerkung schrieb: In den jüngst vergangenen Jah­ren ist etwas vor sich gegangen, das einer genaueren Betrachtung wert ist, da es ein scharfes Licht auf die geistig-religiöse Situation der Nach-Neuzeit, darüber hinaus aber auf die des Menschen überhaupt wirft“.[38]

Mooshausen ist und bleibt die „innere Heimat“ und ein authentischer Ort für die Begegnung mit Romano Guardini. Die Vorsitzende des Freundeskreises Moos-hausen, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, wurde einmal befragt, welches Wort ihr bei der Nennung von Mooshausen spontan in den Sinn kommt; sie sagte: Heimat

 

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