Bereits zum vierten Mal war das alte Pfarrhaus Tagungsort der „Nightfever Akademie“. Diese ist ein weiterführendes Angebot der Nightfever-Initiative und bietet jungen Erwachsenen die Gelegenheit, sich intensiv mit zentralen Inhalten des katholischen Glaubens auseinanderzusetzen. Die Besonderheit dieser Veranstaltungstage besteht im wohlausgewogenen Verhältnis von „fides et ratio“. So bot auch in diesem Jahr das Tagungsprogramm vielfältige Angebote zur Glaubens- u. Gemeinschaftsstärkung (Laudes, Angelus, Komplet, hl. Messen, Eucharistische Anbetung mit Beichtgelegenheit, Wallfahrt) sowie zum Erwerb, der Erweiterung und Vertiefung philosophisch-theologischer Kenntnisse (Vorträge, Diskussionen, Textarbeit in Lesekreisen).
Ausgehend von der berühmten, ironisch-agnostischen Frage des Pilatus – „Was ist Wahrheit?“ – wurde in einem ersten Schritt der Wahrheitsbegriff definiert und drei Typen von Wahrheit herausgearbeitet, die alltagstauglich und damit hilfreich sind in einer Lebenswelt, in der der Wahrheitsbegriff zumindest zwiespältig und komplex geworden ist oder geleugnet wird. Aus der aristotelisch-scholastischen Denktradition entstammt die Korrespondenz- oder Adäquationstheorie: Wahrheit als Übereinstimmung der Sache mit dem Verstand („adaequatio rei et intellectus“). Für den hl. Thomas von Aquin bedeutet Erkenntnis einen Annäherungs- bzw. Angleichungsprozess. Wahrheit entsteht als Angleichung des erkennenden Verstandes (intellectus) an das erkannte Ding (res). Diese Wahrheitsdefinition beinhaltet drei Aspekte: einmal den von der Übereinstimmung mit den objektiven Dingen (ontologische Wahrheit), dann von der Seite des erkennenden Subjektes aus, dessen Wissen in Übereinstimmung mit dem objektiv Seienden ist (logische Wahrheit, „adaequatio intellectus ad rem“) und weiterhin von der Seite des erkannten Objekts aus, dessen Sein mit dem Wissen des erkennenden Subjekts übereinstimmt (ontische Wahrheit, „adaequatio rei ad intellectum“). Neben dem Typus der „objektiven Aussagewahrheit“ (Richtigkeit) gibt es auch die subjektive Aussagewahrheit. Eine Aussage ist subjektiv wahr, wenn sie mit der Überzeugung desjenigen übereinstimmt, der etwas sagt (Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit). Die dritte Gruppe von Wahrheitsaussagen bezieht sich nicht nur auf Sachverhalte, sondern auch auf das Sein von „Sachen“ selbst. Gemeint ist die Entsprechung einer „Größe“ mit dem, was sie gemäß ihrer Bestimmung sein soll. Dieses Wahrheitskonzept wird als „existentiale Wahrheit“ oder „Existenzwahrheit“ bezeichnet. Wahrheit wird hier verstanden als Erfahrung der Eigentlichkeit der Existenz – der Mensch versteht sich selbst entsprechend seiner Daseinsbestimmung. Das Sein des Seienden erschließt sich in der Begegnung mit dem Sein – die Welt verhüllt sich nicht vor uns, sie öffnet sich uns – wir sind in einer Welt, die erkannt werden kann und will. Die Erschlossenheit von etwas nennen wir die Wahrheit – etwas hat sich für mich erschlossen, ich bin „aufgeschlossen“, d.h. ich bin „offen“ und das Ding ist „offen“.
Unwahrheit ist Abgeschlossenheit; Sünde heißt „Sonderung“- durch Ab-Sonderung wird die Beziehung zum Seienden, d.h. zur Wirklichkeit hin verlassen. Wenn sich die Vernunft nicht auf die Wirklichkeit hin überschreitet, aus welchen Gründen auch immer, dann gibt es keine Wahrheit. So wichtig und sinnvoll die Unterscheidung zwischen objektiver Aussagewahrheit und Existenzwahrheit ist, so kommt doch die Existenzwahrheit als Erkenntnis, die zum wahren Dasein verhilft, nicht ohne objektive Sachverhalte aus. Religiöser Glaube ist Existenzwahrheit. Gott selbst ist die Wahrheit – wer auf Gott hört in Jesus Christus, bezeugt die Wahrheit Gottes: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh 14,6).
Genannt werden soll an dieser Stelle noch der große Einfluss, den Romano Guardini auf das Denken Josef Piepers hatte; eine Richtungsgebung, durch, wie Pieper sagte „ein einziges Wort“. Am 28.August 1924 lauschte Pieper im Rittersaal von Burg Rothenfels einem Vortrag Guardinis und vernahm: „Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße“. Diesen Gedanken nahm Josef Pieper auf und entfaltete ihn: „Alles Sollen gründet im Sein; das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße; wer das Gute wissen und tun will, der muss seinen Blick richten auf die gegenständliche Seinswelt; nicht auf die eigene „Gesinnung“, nicht auf das „Gewissen“, nicht auf die „Werte“, nicht auf eigenmächtig gesetzte „Ideale“ und „Vorbilder“; er muss absehen von seinem eigenen Akt und hinblicken auf die Wirklichkeit.“ Alles Seiende ist deshalb gut, weil von Gott gewollt und geliebt – nichts existiert, das von seiner Natur her schlecht ist. Zur Vertiefung dieser grundlegenden Beziehung zwischen dem Guten als umfassendem Prinzip des Seins, der Wahrheit als Erkenntnis der Wirklichkeit und dem Glück bzw. der Glückseligkeit (Eudaimonie) als evident letztem Ziel irdischen Daseins seien folgende Werke für das weitere Studium empfohlen: Josef Pieper, „Die Wirklichkeit und das Gute“ sowie „Wahrheit der Dinge“; Romano Guardini, „Wille und Wahrheit“.
Ein zweiter Themenschwerpunkt war die Liebe, über deren schillernde Semantik Josef Pieper in „Über die Liebe“ mit der Anmerkung hinweist, daß allein das Blättern in Illustrierten während eines Friseurbesuches ausreicht, um in sich den drängenden Wunsch zu verspüren, das Wort „Liebe“ für längere Zeit nicht mehr in den Mund zu nehmen. Ebenso bedenklich wie die Profanierung und der Missbrauch des Wortes „Liebe“ innerhalb einer sinnentleerten, hypersexualisierten, postsäkularen Welt ist der entgegenstehende Pol des „jubelnden Missverständnisses“, das die Wirklichkeit der Liebe unrealistisch in reinster Selbstlosigkeit idealisiert und dadurch der Auflösung überlässt. Trotz der Komplexität, ja der Unausmessbarkeit des Themas „Liebe“, wurde während der Nightfever-Tagung der Versuch unternommen, durch philosophisch-theologische Überlegungen das Terrain dieses Zentralgebots des Christentums zu sondieren, d.h. sprachlich und inhaltlich dem vielgefächerten Charakter der Liebe zu entsprechen. Die griechische Sprache kennt drei Worte für die Liebe: Eros, Agape und Philia. Nicht zufällig besitzen in der deutschen Sprache die Worte „Leib“, „Leben“ und „Lieben“ den identischen Wortstamm „lb-; ein deutlicher Hinweis auf den inneren Zusammenhang und damit gleichzeitig auf die Risiken wechselseitiger Beeinflussung – von exzessiven Höhenflügen bis hin zur gegenseitigen Destruktion. Eros (lat. Amor) ist unbezwingbare, auch, aber nicht nur, leiblich-geschlechtliche Anziehung zwischen Mann und Frau, eine Form des im Anderen, im geliebten Du Sich-selbst-Suchens und -Findens. Im Hohenlied des Alten Testaments, einer Niederschrift von Liedern aus dem 8. bis 6. Jh. v. Chr. wird die Macht des doppelgesichtigen Eros zwischen einer Frau und einem Mann beschrieben, wobei für die existentiell unterschiedlichen Phasen der Liebesbeziehung im Hebräischen eigene Begriffe existieren. Einerseits „dodim“ für die Haltung einer pubertär-suchenden Einstimmung auf den Anderen, für die Phase des sich annähernden Überwältigtseins im beschwingenden Rausch, der Ekstase, jedoch noch ohne tatsächliche und endgültige Entscheidung für das Gegenüber. Jean Paul bezeichnete „dodim“ als „Tutti-Liebe“. Dieser „mania“, diesem „Aus-sich-Herausgerissenwerden“ folgt im Hohenlied der dramatische Umschlag, der Wechsel von „dodim“ zu „ahaba“. „Ahaba“ (griechisch: „agape“) ist Hingabe, die bereit ist, sich bis zur vollständigen Preisgabe auszuliefern, Ahaba ist der Wechsel aus dem Plural der Liebeleien in den Singular der Liebe, und dieser Singular zerstört zwingend und gewaltsam den Plural. Ahaba zerstört dodim. Der Eros zeigt hier seine Doppelgesichtigkeit – ahaba grenzt in ihrer Unbegrenztheit an thanatos. Ahaba ist eine Form von Liebe, die von sich selbst wegführt, die sich selbst gibt, die bis ins Verlieren, bis in den Tod liebt. Agape ist die sich verschenkende Hingabe seiner selbst ohne Erwartung eines Austauschs von Geben und Nehmen. Agape ist die Einzigartigkeit göttlicher Liebe, die in Christus Menschengestalt annahm und sich bis zur vollkommenen Preisgabe seiner selbst hingab. „Darum war es der Wille des Vaters und sein eigener Wille, daß der Herr dem Leiden überlassen wurde. So verließ ihn nicht nur der Vater, sondern er verließ sich sozusagen auch selbst. Da war keine erschreckte Seele, die mit Gewalt weggerissen wurde, sondern eine Seele, die in Freiheit verzichtete.“ (Leo der Große) Philia ist, wie Aristoteles in der Nikomachischen Ethik zeigt, freundschaftliche Liebe im gemeinsamen Streben auf ein hohes Ziel hin, ein beglückendes Verbundensein in der Suche nach Tugend oder Weisheit. Philia begründet auch eine Freundschaftsbeziehung (philoi = Freunde) unter Christen: „Ich nenne euch nicht mehr Sklaven, denn der Sklave weiß nicht, was sein Herr tut; euch aber habe ich Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe.“ (Joh 15,15) Philia schließt Mitfreude an Schönem und Gutem ebenso wie Mitleiden an Üblem in sich ein, das den anderen betrifft. Christliche Freundschaft ist eine Form des Eros ohne leibliche Anziehung, die jedoch von der gegenseitigen, näherhin durch einen Dritten, durch Christus, erweckten Anziehung auf ein gemeinsames Ziel hingeleitet ist.
Alle drei Aspekte der Liebe, Eros, Philia und Agape, gehören zusammen – in der Agape kommt die Liebe zur Vollendung. Die Gutheißung des Liebenden gilt nicht zuerst den Eigenschaften des Geliebten, sondern dessen Existenz. Sie ist „Parteinahme für das Dasein des Geliebten“ und „immerfort dabei, dem Geliebten Dasein zu geben“, schließlich sogar ein Akt der Hoffnung in der Versicherung: „Du wirst nicht sterben.“ Liebe ist die willentliche Zuwendung, die uns sein lässt, sowohl im Sinn nachträglicher Bestätigung, wie vor allem und radikaler: die uns sein macht. Die creatio, die Erschaffung, ist „die äußerste Gestalt der Bejahung, die überhaupt gedacht werden kann“, „Schöpfertum“ gewissermaßen ‚der Komparativ des Ja-sagens’“. Gott hat zu allem, was ist, bereits sein „Ja“ gesagt, wodurch er alles Seiende auch weiterhin im Sein erhält. Menschliche Liebe ist von daher etwas Zweites, eine notwendige Ergänzung. Sie ist „wiederholender Nachvollzug der göttlichen, kreatorischen Ur-Bejahung“. Weil zu sein für jeden das Kostbarste und das zugleich am wenigsten in seiner Macht Stehende ist, darum haben wir es absolut nötig, in der Weise reiner Existenzbejahung geliebt zu werden als „Fortsetzung und in bestimmtem Sinn sogar […] Vollendung des in der Erschaffung Begonnenen.“ (Alle Zitate aus: Josef Pieper, „Über die Liebe“)
Ein besonderer Höhepunkt war der Besuch der Pfarr- und Wallfahrtskirche Maria Steinbach am 31. August, wo die Tagungsteilnehmer zunächst mit Herrn Pfarrer Süß die hl. Messe feierten. Anschließend erfolgte eine sachkundige und humorige Führung durch den Hausoberen, den Salvatorianer-Pater Josef Mayer. Die am Anfang des 18. Jahrhunderts entstandene Wallfahrt zur Kreuzerhöhung und zur Schmerzhaften Muttergottes entwickelte sich zu einem bedeutenden Pilgerort Süddeutschlands und führte zum Bau der Wallfahrtskirche (1749-1765), die durch ihre hervorragende Architektur und Innenausstattung durch bedeutende Künstler zu einem Juwel des Rokokos wurde. Die Harmonie von Formgestaltung, Stuck und Farbgebung hinterließ bei allen Teilnehmern einen unvergesslichen Eindruck.
Am letzten Tag der Nighfever-Akademie, dem 1. September, wurde nochmals über die Liebe als „das Größte“ anhand von 1 Kor 13 nachgedacht. Auch hierbei war, wie im gesamten Verlauf der Tagung, keine Spur „tönendes Erz“ oder „klingende Schelle“ zu vernehmen, nicht von den Zuhörern und Teilnehmern der Diskussionsrunden, und erst recht nicht von der Dauerreferentin, Frau Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, die mit großer Hingabe und unermesslicher Geduld allen Teilnehmern die Chance eröffnete, sich den breitgefächerten Themen geistig zu nähern und sich mit vielfältigen Anregungen und Erkenntnissen, auch für das eigene Leben, zu beschenken. Ein herzliches „Vergelt’s Gott“ auch an Pfarrer Andreas Süß für die durchgängige geistliche Begleitung der Tagung in Form von seelsorgerlichen Gesprächen, würdig und schön zelebrierten heiligen Messen sowie der Spendung des Beichtsakramentes! Gerade in kleinerem Kreis ist offensichtlicher wahrnehmbar, was es bedeutet, daß der Priester sakramental „in persona“ Christi handelt.
Ein besonderes Dankeschön auch an die Eltern von Pfarrer Süß, die mit großem Einsatz für das leibliche Wohl der Teilnehmer sorgten. Alle zubereiteten Speisen waren wahrhaftig wohlschmeckend, ausreichend vorhanden und mit viel Liebe zubereitet, sodass sich auch der Spruch Liebe durch den Magen für die Teilnehmer genussvoll erfüllte.
Herzlich zu danken ist auch der Geschäftsführerin des „Freundeskreises Mooshausen“, Frau Christa Krämer, für die Kostenübernahme des Grillnachmittags sowie zusätzlich für die Spende einer größeren Menge von Wiener Würstchen.
Die diesjährige Sommerakademie von „Nightfever“ im Alten Pfarrhaus zu Mooshausen war ein voller Erfolg. Alle Teilnehmer waren dankbar dafür, an diesem gesegneten Ort sein zu dürfen. Wer nicht dabei war, hat etwas Großartiges verpasst. Die frühzeitige Anmeldung für die nächste Nightfever-Akademie in Mooshausen kann aus vollstem Herzen nur dringlich empfohlen werden.
Dr. Reinhard Ewald