Sonntagsgedanken zu Christi Himmelfahrt, 21. Mai 2020


Christi Himmelfahrt

Gedanken von Paul Metzlaff, Düsseldorf

Die Berichte von der Himmelfahrt Jesu Christi bezeugen sinnlich einprägsam die letzten Worte Jesu an seine Jünger, nach denen er emporgehoben und von einer Wolke aufgenommen wird, die ihn den Blicken entzieht. Diese anschauliche und beeindruckende Szenerie hat unzählige Darstellungen in der Kunst hervorgerufen und Einzug in das Brauchtum einiger katholischer Gegenden gefunden, in denen eine Christusstatue nach oben durch das „Heiliggeistloch“ im Kirchengewölbe gezogen wird, bis sie den Blicken der Gläubigen entschwindet. Im Vermögen Christi, auf einer Wolke in die sichtbare und doch unerreichbare Weite des Himmels aufsteigen zu können, prägte sich das Siegel seiner Hoheit und Herrlichkeit in die Seele der Gläubigen ein. Die Himmelfahrt Christi beglaubigte dem Herzen dessen Auferstehung.

So greifbar und vorstellbar dieser Glaubensinhalt für frühere Generationen gewesen sein mag, so entzogen scheint er in heutiger Zeit, in der die unendlichen und wunderschönen Weiten des Kosmos durch stetig exaktere und weiterblickende Teleskope betrachtet werden können, Menschen in einer Raumstation die Erde umkreisen und Roboter zu entfernten Planeten entsandt werden. Der Himmel wird zunehmend beherrschbar, womit die anschauliche Szenerie der Himmelfahrt zunächst unverständlich wird und ihre Kraft zu verlieren droht. Auch Romano Guardini begegnete diesem Wandel und erhielt im Mai 1961 von einer Dame einen Brief, in dem sie sich ob des jüngsten Raketenflugs beunruhigt zeigte, den sie offensichtlich mit der Himmelfahrt Christi parallelisierte. Die Frage, wie dieses Glaubensgeheimnis persönlich angeeignet und innerlich vollzogen werden könne, ist also im Kontext der ständigen menschlichen Reichweitenvergrößerung zu beantworten.

Der Soziologe Hartmut Rosa führt in seinem Werk „Unverfügbarkeit“ aus, dass der moderne Mensch immer weiter danach strebe, sich die Welt verfügbar zu machen. Dies erreiche er zunächst durch Sichtbarmachung beispielsweise der Welt auch in der Nacht durch elektrisches Licht, dann durch physische Erreichbarkeit, beispielsweise des Mondes durch neue Raketen, drittens durch Beherrschbarkeit, beispielsweise der Umgebungstemperatur durch Klimaanlagen, und viertens durch Nutzbarmachen der Welt: d.h. das Gesehene, Erreichte und Beherrschte in unsere Zweckordnung einzubinden. Rosa kommt dabei zu dem Schluss, dass eine komplett verfügbar gemachte Welt nicht nur reizlos, sondern auch resonanzlos wäre: „Es gäbe in ihr nichts mehr zu begehren, das Begehren fände kein Objekt mehr, und doch bliebe zugleich unser fundamentalstes Bedürfnis nach einem responsiven Gegenüber unbefriedigt“[1]. Er setzt diesem modernen Paradigma eine Theorie der Unverfügbarkeit entgegen, in der der Mensch der Welt im Modus des Hörens und Antwortens und nicht des Beherrschens entgegentritt und so wieder zu wirklicher Resonanz mit ihr und damit zu wahrer Lebendigkeit gelangt.

Das Lebensprinzip des Verfügbarmachens lässt sich auch bei der Suche vieler Menschen nach einem „Gott“ beobachten. Sie wählen sich aus verschiedenen religiösen Angeboten und Praktiken die jetzt gerade für sie Passenden aus und ordnen den unverfügbaren Bereich Gottes beherrschend und nutzend in den Weg der eigenen Selbstoptimierung ein. Ein bisschen Gebet, Achtsamkeit oder eine bestimmte Meditationspraxis dienten ja immerhin zur Steigerung der inneren Ruhe, wodurch die dann folgende Arbeit effektiver angegangen werden könne.

Die Botschaft des Hochfestes Christi Himmelfahrt setzt der Sehnsucht nach Verfügbarkeit eines „Gottes“ eine gänzlich andere Richtung entgegen: Gott ist gänzlich unverfügbar, doch ist Er es, der den Menschen sucht. Diese Menschensuche Gottes wird unüberbietbar in Jesus Christus offenbar, von dem das Geheimnis seiner Himmelfahrt beglaubigt, dass er (1) als hoheitlicher Sohn Gottes dem menschlichen Zugriff entzogen ist und (2) wiederkommen wird in Herrlichkeit.

Das Zeugnis der Himmelfahrt in der Apostelgeschichte erwähnt eine „Wolke“, die ihn aufnimmt, sodass sie ihn nicht mehr sehen (Apg 1,9). Sie bezeichnet nicht das Wetterphänomen, sondern den Ort der göttlichen Herrlichkeit, der göttlichen Shekkina. In ihr erscheint Gott bereits dem Mose auf dem Berg Horeb, wobei das Berühren des Berges bereits den Tod bedeutet (Ex 19,9-13). Sie ist das sichtbare Zeichen, das die Israeliten auf ihrer Wüstenwanderung führt, und sie legt sich auf das Offenbarungszelt, sodass es von der Herrlichkeit des Herrn erfüllt wird (Ex 40,34-38). Sie hüllt den Berg Tabor ein, als Jesus dort mit Mose und Elija spricht und sich Petrus, Jakobus und Johannes mit dem Gesicht zu Boden werfen (Mt 17,1-9). Die angeführten Beispiele aus der Heiligen Schrift verdeutlichen die Wolke als den Ort der Herrlichkeit Gottes, von dem Paulus im ersten Korintherbrief sogar schreiben kann, dass die Israeliten bei ihrem Durchzug durch das Meer in der Wolke und im Meer getauft worden seien (1 Kor 10,1-2). Nimmt die Apostelgeschichte hier das Wort der Wolke auf, beglaubigt sie, dass dieser da nicht einfach ein Mensch, sondern der herrliche und heilige Sohn Gottes ist.

Der Mensch ist versucht, Gott sich selbst verfügbar zu machen und seine Herrlichkeit greifen zu wollen. Immer wieder wird berichtet, dass sich Personen aus dem Volk Israel dem Offenbarungszelt näherten und starben, auch Petrus gedachte den erhabenen Moment auf dem Berg Tabor festzuhalten und drei Hütten zu bauen, worauf keine Reaktion Jesu überliefert ist. Schließlich schildert auch der Himmelfahrtsbericht, dass die Wolke ihn entzog und er ihren Blicken entschwand. Christi Himmelfahrt erinnert uns daran, dass dieser Gott, mit dem wir uns manchmal bequem eingerichtet und ihn für uns domestiziert haben, unbequem und unendlich erhaben, ja, der Heilige ist. Das heutige Fest ist die Herausforderung, sich von Gott ständig neu herausfordern zu lassen und zugleich Entdeckende zu bleiben.

Christus kündigt in seiner Himmelfahrt seine Wiederkunft an (Apg 1,11) und die frühen Christen, besonders sei auch an den Apostel Paulus zu denken, lebten in dieser ständigen Naherwartung, welche wir bis heute im Glaubensbekenntnis bekennen. Sie könnte als Weltverachtung und Vertröstung der Armen und Kranken auf eine himmlische, bessere Welt missverstanden werden. Doch bildet ihre Erwartung den Horizont der christlichen Existenz, auf den hin sie beständig ausgestreckt ist. Dieses „Auf-hin“ konstituiert eine Lebensweise des Wartens, Erwartens, Empfangens und Beschenktwerdens, die dem heutigen Paradigma des Ausgreifens, Beherrschens und Nutzens diametral entgegensteht. Die großen Fastenzeiten vor Weihnachten und Ostern erinnern uns regelmäßig daran. Die Grundhaltung geöffneter Arme, Ohren und des Herzens auf Christus hin bedeutet dabei keine Weltabgewandtheit, vielmehr wurde der Heilige Mensch, um die Menschen zu suchen. Und der, welcher hier in den Himmel auffährt, ist kein nebulöser Geist, der die Welt abgelegt hätte, sondern der Menschensohn mitsamt seinen Wundmalen im geheimnisvollen Auferstehungsleib. Christi Himmelfahrt bezeugt, dass das Christentum keine weltabgewandte, sondern eine weltwandelnde Religion in hörender Lebenshaltung ist.

Die neuen wissenschaftlichen Errungenschaften der Kosmologie widerlegen also das Ereignis der Himmelfahrt Christi nicht, vielmehr haben sie uns gedrängt, näher nach dessen Wesen zu fragen. Es zeigt sich als ein Hochfest der Freude über die Herrlichkeit Gottes und eine Erinnerung an unseren Lebensstil als Christinnen und Christen, der konkret hier in dieser Welt wartend und erwartend hoffungsvoll ausgestreckt ist auf die Wiederkunft Christi und unsere eigene Auferstehung. Diese Hoffnung ist nicht weltabseitig, vielmehr das Fundament unseres Schauens auf Welt, eine wirkliche Sichtbarmachung der Dinge, wie sie ihrem Wesen nach sind und daraus folgt handelnd nicht deren Verzweckung, sondern ihr sinngemäßer Gebrauch. Allein vermag der Mensch den neuen Lebensstil nicht zu verwirklichen, weshalb Christus den Jüngern die „Kraft des Heiligen Geistes“ verheißt, auf die sie warten und um die sie beten sollen (Apg 1,8), so auch wir vielleicht in den kommenden Tagen mit einer entsprechenden Novene.

[1] Vgl. Rosa, Hartmut, Unverfügbarkeit, Wien – Salzburg 62020, 121f.


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