Es ist schon so lange her, dass ich vergessen habe, wie der Film hiess. Doch ich erinnere mich noch sehr genau an eine Szene: die jungen Adligen mussten vor ihrer Einführung bei Hofe den Hofknicks oder den Hofdiener üben. Immer und immer wieder wurde fleissig „gekratzbuckelt“, denn die Herrscher und Mächtigen dieser Welt legen Wert darauf, dass ihre Untertanen sich korrekt klein machen.
Seit alters her ist das so: die einen stehen im Licht, die anderen müssen sich ducken und vor Ehrfurcht auf den Boden werfen. Einer oder wenige verfügen, die meisten müssen sich fügen und werden dadurch ihrer Selbstbestimmung und ihrer Würde beraubt, werden verdinglicht.
Daran musste ich spontan denken bei der Lesung aus dem Buch Ezechiel. Auch der Prophet ist bestimmt von diesen traditionellen Vorstellungen. U nd es ist ja nicht irgendein weltlicher Herrscher, dessen Herrlichkeit er, Ezechiel, da schaut. Es ist die Herrlichkeit Gottes selbst. Daher ist es mehr als logisch, dass Ezechiel sich auf den Boden wirft und sich vor dem Allergrössten klein macht und verkriecht.
Doch Gott ist ganz anders. Diese wichtige Erkenntnis gewinnt der Prophet. Gott will uns als ebenbürtige, selbstbewusste Personen, als echte Gesprächspartner. Auf Augenhöhe. „Stell dich auf deine Füsse; ich will mit dir reden“. Und da der Prophet noch immer ganz in der Rolle des zur Passivität gezwungenen Duckmäusers bleibt, richtet Gottes Geist ihn auf. Das Wort Gottes ergeht an den Propheten, ein Wort, das aufrichtet, ermutigt, befähigt – um den Auftrag, den Gott für den Propheten hat, auch erfüllen zu können.
Der so Aufgerichtete, der solchermassen auf die Füsse gestellte, soll anderen Beine machen, damit auf die Füsse gestellt wird, das sie trägt und hält: die zutiefst glückseligmachende Beziehung zu (ihrem) Gott.
Das ist die prophetischste Aufgabe überhaupt: Menschen zum miteinander Handeln zu bewegen. Das ist herrschaftliche Herzenssache. Nicht ein versteinertes, undurchdringliches (trotzig, hiesss es im Lesungstext) Gesicht und eine erstarrte Haltung (von Widerspenstigkeit war im Text die Rede) sind des Menschen Bestimmung, sondern geisterfüllte Lebendigkeit, die „Leichtigkeit des Seins“ in Gott.
In diesem Sinne sind wir alle berufen, prophetisch in der Welt zu wirken.
Pfr. Reinhold Sahner
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