Gedanken zum 7. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Feindesliebe! Häh???
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Freunde von Mooshausen,
Es gibt einen alten jüdischen Witz: In New York fahren nach der Sprechstunde zwei Psychotherapeuten zusammen im Fahrstuhl. Der eine meint: „Aach, es ist schon schrääcklich, den ganzen Tag das Gerede der Patienten anzuhören!!!“ – „Och, wer hört schon zu!“, die Antwort des anderen.
Nun, das Evangelium des Sonntags beginnt mit den Worten: „Euch aber, die ihr zuhört, sage ich: …“ (Lk 6,27-38) Ja und dann kommt’s; „Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!“ – „Häh?“, die kürzeste Form von „Versteh ich nicht!“ huscht uns auf die Lippen.
Jesus scheint es wirklich auf die Spitze zu treiben. Einige seiner Zuhörer bei der sogenannten Feldrede, die wir über drei Sonntage hören, scheinen ja schon abgesprungen zu sein. Was denn noch alles? Ich bezahle Kirchensteuer, ich muss mir anhören, dass ich immer noch zu einer Kirche der Missbrauchstäter gehöre, ich arbeite bei der Caritas und tue nicht nur für Geld jeden Tag doch auch ein wenig Gutes… Reicht das immer noch nicht?
Die Jesus zuhören, wollen ihn verstehen. Sie haben irgendwie die Spur aufgenommen, sich im besten Sinne des Wortes schon in ihn und seine gänzlich neue Lehre verliebt. Aber Jesus möchte, dass wir uns nicht nur als seine Geschwister entdecken, sondern als Kinder des einen Vaters im Himmel, der ein jedes von ihnen unendlich liebt, den Abel, aber auch den Kain, der seinen eigenen Bruder erschlagen hat.
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“, folgt deshalb im Evangelium dem Wort von der Feindesliebe auf dem Fuß. Es geht nicht darum, das Schlimme, was mein Feind mir antut oder wünscht, gut zu heißen, sondern darum, ihn als Geschwister zu entdecken, alles zu tun, dass er in die väterliche Liebe zurückkehrt, dass er auch in mir sein liebenswertes Geschwisterkind neu entdeckt. Stanisław Lec, der polnische Satiriker, sagt deshalb etwas bissig, aber wohl auch hoffnungsvoll: „Liebet eure Feinde, vielleicht schadet das ihrem Ruf.“
Beschämen wir die uns manchmal feindselige Welt durch unsere Liebe!
Pfr. Dr. Andreas Martin
Caritasrektor des DiCV Dresden-Meißen
s. auch P.S. Clemens Pilar: https://www.youtube.com/watch?v=qK_kT4hlPiQ
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