Sonntagsgedanken, 14. März 2021


4. Fastensonntag, 14. März 2021, Joh. 3, 14-21

 

Es war eine Zeitlang Mode: Bei großen Sportereignissen wie Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften hatten Stadionbesucher Schilder dabei mit der Aufschrift: Joh. 3,16. Sie waren an Orten zu sehen, auf die sich die Kameras häufig richteten, z.B. hinter den Eckfahnen des Fußballplatzes. Jeder sollte es sehen können, den Satz, der auch im Zentrum des heutigen Evangeliums steht: Johannes, Kapitel 3, Vers 16: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat.“

Was macht so ein „frommes“ Schild an einem scheinbar so „unfrommen“ Ort wie einem Stadion? Hier geht es doch um sehr weltliche Dinge, ums Gewinnen und Verlieren, um viel Geld, um durch Doping oft verzerrten, unlauteren Wettbewerb und gelegentlich um nationalistische Fans, die die eigenen Sportler bejubeln und die fremden auspfeifen. Passt das zusammen?

In den acht Versen des heutigen Evangeliums taucht fünfmal der Begriff „Welt“ auf, griechisch „Kosmos“. Gott hat seinen einzigen Sohn gesandt, weil er die Welt so sehr liebt, weil er die Welt retten und nicht richten will, weil sein Licht in der Welt aufscheinen soll. Adressat seiner Liebe ist also nicht in erster Linie das Volk Gottes, nicht die Kirche, nicht die sog. Rechtgläubigen, sondern die Welt, die die Finsternis oft mehr liebt als das Licht, z.B. in einem Stadion, in dem es ums Gewinnen und Verlieren, um viel Geld, Doping und nationalen Fanatismus geht. Doch, Joh. 3,16 passt da ganz gut hinein.

Sendung in die Welt und nicht zuerst in die „inner circle“ unserer Kirchen mit ihrer häufigen Fixierung auf Binnenthemen. Mir hilft dieser Gedanke manchmal bei Taufgesprächen. Ich frage die Eltern oder Alleinerziehenden, die ich besuche, immer: Warum möchten Sie Ihr Kind eigentlich taufen lassen? Man sieht doch, wie sehr Sie sich mühen, um ihnen ein liebevolles Zuhause bieten. Warum dennoch die Taufe? Die Antworten sind natürlich unterschiedlich, aber häufig heißt es:

  • Wir wurden selbst getauft und Oma und Opa freuen sich, wenn wir auch unser Kind taufen lassen. Es ist eine schöne Gelegenheit, wieder einmal fröhlich mit der Familie zusammen zu sein.
  • Ich habe gute Erinnerungen an meine Kindheit, in der ich manchmal, oft mit den Großeltern, in der Kirche war.
  • Mir ist es wichtig, meinem Kind christliche Werte zu vermitteln.

All das ist gut, und kein Grund zur Kritik, auch wenn der Kern dessen, was Taufe bedeutet damit sicher nicht ausgeschöpft ist. „So sehr hat Gott die Welt geliebt“, das gilt diesen Eltern, Alleinerziehenden und ihren Kindern. Und dieser kosmischen Liebe nicht im Weg zu stehen, sondern auf sie hinzuweisen ist unsere und als Taufspender meine Aufgabe. Der Versuchung, nur unter uns zu bleiben, weil „die Anderen“ angeblich nicht mehr „ansprechbar“ sind, müssen wir widerstehen. In der Nachfolge dessen, der das Licht „der Welt“ ist, ist auch unser Auftrag kosmisch. Wegducken geht da nicht!

Und gar nicht so selten erlebe ich dann eine echte Neugier wie bei Nikodemus, den es nachts zu Jesus zieht. Die zweite Hälfte seines Gesprächs mit dem Herrn ist der Text des heutigen Evangeliums. Er, der einflussreiche, gebildete, wohlhabende Mann fürchtet sich vielleicht und sucht deshalb den Schutz der Dunkelheit, aber er ist offen, unruhig, voller Sehnsucht und schon berührt von der Botschaft Jesu. Noch ist er kein Jünger, aber er macht erste Schritte, den Anfang eines Glaubenswegs. Und Jesus verzichtet auf seine Nachtruhe, nimmt sich Zeit für Nikodemus und knüpft mit dem was er sagt, an dessen Glaubens- und Erfahrungshorizont an. Er vergleicht den Tod am Kreuz, der ihn erwartet, mit dem Aufhängen der Schlange durch Mose wie sie im Buch Numeri (Kap. 21, 4-9) geschildert wird. Die Israeliten murrten nach Ihrer Befreiung aus Ägypten einmal mehr gegen Gott und gegen Mose. Die „Fleischtöpfe Ägyptens“ schienen ihnen, obgleich in Gefangenschaft, attraktiver als die ungewisse Perspektive eines gelobten Landes. Wir trauen eigenen Höllen oft mehr als fremden Verheißungen. Die Schlangen, die als Strafe das Volk im Lager heimsuchten, töteten viele Menschen. Die Israeliten bereuten daraufhin ihre Auflehnung und baten Mose, sich bei Gott für ihre Rettung einzusetzen. In dessen Auftrag befestigte er eine Schlange an einer hohen Stange. Ein Blick auf diese Schlange, und das Leben der verwundeten Israeliten war gerettet.

Diese Geschichte kannte Nikodemus natürlich, die Analogie zu dem am Kreuz sich hingebenden Jesus musste er noch lernen. Aber der Herr half ihm dabei mit einem knappen Katechismus, der erklärt, worum es beim Glauben eigentlich geht, was sein Kern ist: Gottes Liebe zu uns ist so groß, dass er seinen einzigen Sohn hingibt, um diese Welt zu retten. Sein „Ja“ zu uns bleibt, er wird es nie widerrufen. Es geht ihm um unsere Rettung, nicht um unsere Verurteilung. Das Tor zu ihm und zum Leben steht sperrangelweit offen, wir dürfen hineingehen, und er kommt uns entgegen. Das bedeutet „Erlösung“.

Liebe freilich kann man nicht erzwingen. Sie verträgt keinen Imperativ. „Liebe mich gefälligst!“, das ist absurd. So schmerzhaft es für den Zurückgewiesenen auch ist, wenn der andere nicht auch so liebt wie ich, ist es nicht zu ändern. Das gilt für die Beziehungen unseres Lebens und das gilt auch für Gott. Er will das freie Ja des Menschen, was bedeutet, dass wir uns ihm auch verschließen können. Wir können die Finsternis auch auf Dauer mehr lieben als das Licht. Ob das von Gott her das letzte Wort zu unseren Entscheidungen ist, wissen wir nicht. Die Hoffnung bleibt, dass seine Barmherzigkeit am Ende die Oberhand behält.

Liebe – Rettung – Freiheit! Mit diesem Dreiklang stärkte Jesus den Nikodemus auf seinem Glaubensweg. Und wie ging es mit ihm weiter? Einen Hinweis darauf werden wir Karfreitag erhalten.

Die Passionsgeschichte im 19. Kapitel des Johannesevangeliums berichtet am Schluss von der Bestattung Jesu. Auch Nikodemus war dabei, der wie der Text eigens hervorhebt, „Jesus früher einmal bei Nacht aufgesucht hatte.“ Jetzt war es Tag! Obschon Jesus tot war, scheint die Angst des Nikodemus verflogen, die ihn nur nachts zu ihrer ersten Begegnung kommen ließ. Er brachte zur Balsamierung des toten Körpers eine Mischung aus Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund, ein Bekenntnis und eine Liebesgabe, großzügig und ein denkbar heftiger Kontrast zu der schmählichen und grausamen Tötung am Kreuz. Gemeinsam mit Josef von Arimathäa legte er den Leichnam in das neue Grab, in dem noch niemand bestattet worden war.

Ob er dabei an die erhöhte Schlange in der Wüste gedacht hat oder an Joh. 3,16? Jedenfalls scheint er einige weitere Schritte auf dem Weg der göttlichen Pädagogik gegangen zu sein, im Verständnis des göttlichen Dreiklangs: Liebe – Rettung – Freiheit!

 

Diakon Dr. Michael Pope, Stuttgart


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