Sonntagsgedanken, 14. Juni 2020


11. Sonntag im Jahreskreis: 14. Juni 2020

Mt 9,36-10,8

Die gewaltige Gabe

Was ist Erlösung? Es wäre aufschlußreich, darauf Antworten  zu erhalten (wenn sie denn versucht werden). Unter einigen verlegenen Antworten würde vermutlich auch stehen: die Sünden vergeben zu bekommen. Das ist durchaus richtig, doch bleibt es wenig anschaulich, ist sogar unüberprüfbar. Das Evangelium wird dagegen handgreiflich, eindeutig und zupackend. Erlösung heißt im Kürzel: Kranke heilen, Tote erwecken (!), Aussätzige reinigen, Teuflisches austreiben. Sinngemäß wird es sogar zweimal gesagt, damit es sitzt.

Darauf die weitere Frage: Und wer ist der Erlöser? Darauf käme wohl rascher eine Antwort der „religiös Sozialisierten“, wie man die Gläubigen heute nennt: natürlich Jesus Christus. Auch das ist überaus richtig. Aber das heutige Evangelium gibt noch andere Namen, zwölf insgesamt, darunter einen später Abtrünnigen. Jesus läßt die Jünger (er)lösen, mehr noch, er befiehlt ihnen, das unvorstellbar Unmögliche durchzuführen. Reicht dazu einfach ein Befehl? Er wäre selbstverständlich eine Überforderung. Daher kommt nun die Vollmacht, die Ausstattung mit der absoluten Kraft Jesu selbst, mit der göttlichen Kraft der Lösung alles Zerbrochenen; ja, auch Judas erhält sie. Und die vermutlich Verblüfften, Zaghaften (wie sie noch bis Pfingsten gekennzeichnet werden) sollen losziehen, nicht anders als Schafe unter die Wölfe, sie ziehen in den Hass, werden gejagt und Knechte des Teufels genannt, so die anschließenden Verse.

Eine großartige Sendung! Sollte man nicht glauben, die Heilkräftigen würden verehrt und auf Händen getragen? Wie ihr Meister selbst laufen sie ganz umgekehrt in das tödliche Schwert des Unglaubens und Mißtrauens. Sie geraten in die Niederungen der menschlichen Tücke und der Verbohrtheit, sich gar nicht heilen lassen zu wollen. Der Arzt, den die Kranken anspucken – das ist die Aussicht. Warum das so ist, gehört in den unentschlüsselbaren Bereich des Bösen. Und früher oder später wird das Böse sie alle erreichen: Bis auf Johannes, so erzählt die Überlieferung, werden alle Apostel = Gesandten umgebracht,  gekreuzigt, geschunden, geköpft, zersägt… Das ist die eindeutige dämonische Antwort.

Was hilft da die Vollmacht? Bis das Böse sich ihrer bemächtigt, werden sie trotzdem heilen: einige, viele, ja, erstaunlich viele gewinnen. Sie werden zugrunde gerichtet und dennoch gewinnen. Es wird unvorstellbare Erfolge mitten im Feindesland geben. Was immer geschieht, die Haare ihres Hauptes sind gezählt. Tod ist kein Schrecken mehr.

Das allein ist schon unglaublich, aber noch unglaublicher: Es ist durchaus historisch geschehen. Wir Spätlinge stehen heute, gerade jetzt, an einem Wendepunkt: Der äußere, flächendeckende „Erfolg“ des Christentums ist deutlich am Schwinden. Die bekannten Einbrüche des Glaubens, zahlenmäßig und bis in die Grundkenntnisse des Christentums hinein, müssen nicht wiederholt werden. Nicht verändert hat sich allerdings der Imperativ Jesu: zu heilen, zu lösen, in seinem Namen die Dämonen anzugreifen. Nicht geändert hat sich auch die unbedingt nötige Vollmacht. Man mag sich nicht als Apostel fühlen, aber es sei gerade heraus gesagt: Wir sind es trotzdem. Durch die Taufe und die später gegebene Zustimmung dazu sind wir immer schon auf der „anderen Seite“, nicht mehr im Lande des Kranken und Bösen, sondern ausgewählt worden, um dorthin einen Vorstoß zu machen.

Sollen wir vor der Größe der Vollmacht erschrecken oder wollen wir sie probehalber anwenden? Einmal, dann mehrfach, dann immer wieder – es wird sich zeigen, was uns für eine Gewalt in die Hände gegeben worden ist.

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz


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