Sonntagsgedanken, 10. Januar 2021


Taufe des Herrn

Ich klopfe an der Tür eines Patientenzimmers. Sachte trete ich ein und entdecke eine junge Frau, die sich in ihrem Bett in eine Decke eingekuschelt hat. „Guten Tag, Sie haben Besuch bekommen“. – „O, wen denn?“ – „Mich, ich bin hier Krankenhausseelsorger. Eine Krankenschwester hat gemeint, Sie freuen sich vielleicht, wenn jemand vorbeischaut. Deswegen habe ich bei Ihnen geklopft. Ich hätte Zeit für Sie, aber natürlich nur, wenn Sie wollen und wenn es Ihnen gerade recht ist.“ Die Frau setzte sich auf und überlegte kurz. „Ich habe kein Thema, über das ich mit Ihnen reden könnte. Aber sagen Sie mal. Glauben Sie wirklich an Gott?“. Das ist eine Frage, die man einem Theologen nie stellen sollte, denn sie ist viel zu konkret für einen Wissenschaftler, der das abstrakte Denken gewöhnt ist. Aber mich faszinierte die Direktheit meiner Gesprächspartnerin. „Ja, ich glaube an Gott. Das bedeutet für mich, dass in dieser Welt etwas Göttliches ist. In jedem Menschen kann ich einen Teil von Gott erkennen, weshalb auch jeder Mensch Respekt verdient. Der Dalai Lama hat einmal gesagt, dass Liebe und Mitgefühl eine universelle Religion seien. Und das ist auch das, was Jesus gepredigt und gelebt hat.“ Die junge Frau unterbrach mich und sagte: „Wenn Sie das so sehen, dürfen Sie bleiben. Wissen Sie, meine Mutter ist ganz streng religiös und sie hat mir den Glauben versucht mit Gewalt einzubläuen, nicht mit körperlicher Gewalt, aber mit viel psychischem Druck.“ Und sie begann mir ihre Leidensgeschichte zu erzählen.

Am Sonntag feiern wir das Fest „Taufe des Herrn“. Was getauft sein bedeutet, wurde uns als Kinder in dem Lied vermittelt „Fest soll mein Taufbund immer stehen, ich will die Kirche hören. Sie soll mich allzeit gläubig sehn und folgsam ihren Lehren“ (Text C. J. Bierbaum). Dass mit „Kirche“ nur die katholische Kirche gemeint sein kann, war für mich als Kind selbstverständlich, auch wenn die Strophen 2 bis 4 auf Christus abheben, der mit uns Menschen einen Bund eingeht, der zum ewigen Leben führt. Die Taufe ist die Eingliederung in die Institution Kirche. So sieht es das Kanonische Recht bis heute. Und das kann missbraucht werden und zu solchen psychischen Qualen führen, wie ich sie bei der jungen Frau in der Klinik erlebt habe.

Deshalb lohnt sich der Blick auf das Tagesevangelium ((Mk 1, 7-11), wo es heißt: „Und als er (Jesus) aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam.“ Der Himmel öffnet sich! Das ist ein Ereignis, das Freiheit verheißt. Ängstliche Enge ist hier fehl am Platz.

Am Ende eines Meditationskurses bekam ich einmal vom Leiter eine Karte geschenkt. Darauf stand: „Offene Weite“, ein Gedanke, der mich seither begleitet und mich prägt. Es geht im Glauben nicht um richtige und falsche Lehrsätze, es geht um eine Sicht der Welt, die den Himmel offen hält für alle in Toleranz und gegenseitiger Wertschätzung. „Glauben Sie an Gott?“: Ich hätte der jungen Frau auch antworten können: Ja ich glaube, dass es einen Gott gibt, der mir die Augen öffnet und mir eine offene Weite schenkt.

Dr. Thomas Kleine


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