Sontagsgedanken, 17. Mai 2020


Liebe – und was du willst, das tu!

(Predigt zum 6. Ostersonntag: Apg 8,5-8.14-17 ;1 Petr 3,15-18 ; Joh 14,15-21)

  „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.“ Ist das nicht seltsam, ja befremdlich? Bei anderer Gelegenheit hatte Jesus doch die Gebote geradezu handstreichartig beiseite gewischt und nur noch die Liebe als das eine und einzige Gebot übrig gelassen, die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Und nun sollen doch wieder die Gebote das entscheidendes Kriterium der Liebe zu Jesus sein?

An dieser Stelle möchte einem das große, ebenfalls das Vielerlei der Gebote souverän hinter sich lassende Wort des hl. Augustinus einfallen: „Dilige, et quod vis fac.“ „Liebe – und was du willst, das tu!“ – eine Sentenz so großartig wie missverständlich. Klingt das nicht viel attraktiver als das, was Jesus hier sagt?

Schauen wir etwas genauer hin und dazu auf ein Beispiel, das dem Wortlaut nach der Augustinus-Sentenz zum Verwechseln ähnelt, dem Sinn nach aber das genau Entgegengesetzte intendiert.

1920 entstand auf Sizilien ein „Kloster“ ganz eigener Art. Die Gemeinschaft, die hier wohnte, nannte sich „Thelema-Orden“. Der Gründer der bizarren Vereinigung war ein gewisser Aleister Crowley, eine der berüchtigsten Gestalten des modernen Okkultismus. Crowley versah sich selbst gerne – in Anspielung auf die Apokalypse des Johannes – mit dem Titel „The Great Beast“ sowie der Zahlenfolge 666 und gab sich als den verheißenen Antichrist aus. Aufgrund ungeheuerlicher Exzesse bezeichnete ihn die Presse schon zu Lebzeiten als den „verruchtesten Mann der Welt“.

Zwei Prinzipien prägen die Konzeption Crowleys: „Wille“ (griechisch = Thelema) und „Liebe“. Der „(wahre) Wille“ ist nichts anderes als die Befolgung des Crowley’schen Urgebotes, des einzigen Gesetzes der „Thelema-Abtei“, das da lautet: „Do what thou wilt“ – „Tu, was du willst“. Die Addition von „Liebe“ und „(wahrem) Willen“ ergibt hier also dem nackten Wortlaut nach so etwas wie den augustinischen Satz: „Liebe und tue, was du willst!“

Zu guter Letzt sei noch die berühmte Schmonzette von Zarah Leander angeführt: „Kann denn Liebe Sünde sein?“ Mit anderen Worten: Die Liebe kennt keine Gebote. Durch die ihr eigene Autorität setzt sie sie außer Kraft. Sie gehorcht nur ihren eigenen „Gesetzen“.

Man spürt intuitiv: Trotz (in etwa) gleichen Wortlauts stimmt hier etwas nicht. Vielleicht ahnt man sogar, dass der Satz Jesu jenes Korrektiv enthalten könnte, ohne das das Wort Liebe jenen oberflächlichen, banalen, sentimentalen, selbstbezogenen Gebrauch erfährt, der Papst Benedikt in seiner ersten Enzyklika „Deus Caritas est“ hat schreiben lassen, dass „das Wort ‚Liebe’ heute zu einem der meist gebrauchten und auch missbrauchten Wörter geworden ist“. Angesichts dieses Missbrauchs könnte einen durchaus das dringende Bedürfnis anwandeln, das Wort Liebe zumindest einmal vorläufig aus dem Wortschatz zu streichen; oder gar in den zornigen Ausruf Martin Luthers aus seinem Kommentar zum Galaterbrief einzustimmen: „Maledicta sit caritas!“ – „Verflucht sei die Liebe!“; und: „Loco caritatis ponimus fidem.“ – „An die Stelle der Liebe setzen wir den Glauben.“ 

Nun, bei solchem Zorn dürfen wir natürlich nicht stehen bleiben. Denn Liebe gehört zu den Grund- und Urworten unserer Sprache. Bei aller Banalisierung können wir nicht darauf verzichten. Es hat einen Klang, den niemand von uns missen möchte. Und noch weniger wollen wir die Sache selbst missen. Um so wichtiger ist es, einmal etwas gründlicher zu fragen, was Liebe denn eigentlich ist. Was Jesus meint, wenn er von ihr spricht. Und in seiner Nachfolge Augustinus in seiner berühmten Sentenz.

Um das zu klären, sei ein anderer Großer der Theologiegeschichte zitiert. Thomas von Aquin kommentiert den Satz aus der Römerbrief: „Gottes Liebe ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (5,5), folgendermaßen: „Die ‚Liebe Gottes’ kann auf zweifache Weise verstanden werden: einesteils als die Liebe, mit der Gott uns liebt; in anderem Sinn kann als ‚Liebe Gottes’ die gemeint sein, mit der wir Gott lieben. Die Liebe Gottes in beiderlei Sinn aber ist es, die ausgegossen wird in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns verliehen ist. Dass der Heilige Geist, welcher die Liebe des Vaters und des Sohnes ist, uns gegeben werde, bedeutet, dass wir hingeführt werden zur Teilhabe an jener Liebe, die der Heilige Geist ist. Kraft dieser Liebe werden wir zu solchen, die Gott lieben. Und dies, dass wir ihn lieben, ist ein Zeichen dafür, dass er uns liebt.“

Auf einmal scheint sich die Sache zu ordnen. Erst wenn wir wissen, woher die Liebe stammen muss, für die das Wort gilt: „Dilige, et quod vis fac“, können wir vermeiden, dass es zur verwirrenden, vielleicht gar verführerischen und lügnerischen Parole wird.

Die „dilectio“, die den Menschen in die Freiheit versetzt, tun zu können, was er will, ist daher nichts anderes als die gnadenhafte Liebe, die uns allein in Christus geschenkt wird. Es ist die Liebe der Taufgnade, die Gott durch den Heiligen Geist in unsere Herzen eingießt. Es ist die Liebe, die der Heilige Geist in Person ist, von dessen Sendung Jesus im heutigen Evangelium spricht. Es ist die Liebe, in der Jesus sein Erlösungswerk für uns vollbracht hat.

Weder der von Thomas zitierte Paulus noch Augustinus meinen, wenn sie von Liebe sprechen, eine solche, die sich über die von Gott gegebenen Gebote und seine sich in ihnen ausdrückende Gerechtigkeit hinwegsetzen dürfte. Die Liebe, von der beide sprechen, stammt ebenso aus Gott wie die Gerechtigkeit. Daher ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes (vgl. Mt 5,17; Gal 5,14), nicht die Erfüllung der eigenen Begierlichkeit.

Wahr bleibt aber auch: Wer wirklich in der Liebe ist, braucht die Gebote nicht. Es ist wie in einer Ehe. Das Eheversprechen, das sich ein Paar am Tag der Hochzeit gibt, wird nicht benötigt für Zeiten, in denen sie einander herzlich zugetan sind. Benötigt wird es für die schwierigen Zeiten. Benötigt wird es als Ansporn, als Verpflichtung, besser als Selbstverpflichtung, wieder zurückzufinden zur Höhe der früheren Liebe, zur Höhe jener Liebe, die das Gebot des Eheversprechens als Gebot wieder überflüssig macht. Daher haben die Gebote, wenn wir sie recht verstehen, den einzigen Sinn, uns zu helfen, in der Liebe zu bleiben, oder, wenn wir aus ihr herausgefallen sind, zu ihr zurückzukehren. Daher genügt niemals, die Gebote rein formal zu erfüllen; sie müssen aus Liebe und in der Liebe getan werden – dann erst sind sie erfüllt. Besäße ich alle nur erdenklichen Vorzüge, „hätte aber die Liebe nicht, wäre ich eine lärmende Pauke, ein nichts“. (vgl. 1 Kor 13,1-3)

Durch die Verbindung von Liebe und Gebot, die Jesus herstellt, wird der Liebe das Wankelmütige, Irrationale und Chaotische genommen, das ihr gewisse Enthusiasten so gerne beilegen, weil es sich damit durchaus auch angenehm lebt lässt. Die Liebe ist nicht gegen, sondern für die Ordnung. Demnach liegt derjenige falsch, der sich einfach nur auf seine – wirklichen oder vermeintlichen – Liebesregungen verlassen will, ohne seinem Leben die nötige Form zu geben; ohne nach dem zu streben, was die Alten Tugend nennen. So schreibt Augustinus: „Eine kurze und genaue Bestimmung der Tugend scheint mir diese zu sein: Tugend ist geordnete Liebe.“

Das führt zum letzten Gedanken: Liebe verähnlicht mit dem Geliebten – das gilt im Positiven wie im Negativen. Auch die zerrüttete Natur derer, die dem Alkohol oder den Drogen verfallen sind, oder das verlebte Gesicht eines Stars, der Leben als Sich-ausleben versteht, offenbaren eine Art Verähnlichung mit dem Geliebten. Ganz in diesem Sinne schreibt Augustinus: „Liebst du die Erde? So wirst du der Erde gleich. Liebst du Gott? So wirst du Gott gleich.“

„Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.“ Es ist Jesu Einladung, ihm ähnlich zu werden. Nicht aus eigener Kraft, sondern in der Kraft dessen, den er einfach den „Beistand“ nennt. Er, der „Geist der Wahrheit“, will uns beistehen, in Übereinstimmung mit Gottes Willen und seinen Geboten zu leben und so in der Liebe zu sein. In diesem Sinn gilt dann auch tatsächlich: Liebe – und was du (dann tun) willst, das tu!

 Pfr. Bodo Windolf


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