Auch in der Not für die Freude geschaffen
Nach einer Gerichtsverhandlung, die allen rechtsstaatlichen Maßstäben spottete, wurde Helmuth James Graf von Moltke am 11. Januar 1945 vom sogenannten Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und am 23. Januar hingerichtet. Am Abend nach seiner Verurteilung schrieb er an seine Frau Freya: „Ich denke in ungetrübter Freude an Dich und die Söhnchen; der Abschied fällt mir im Augenblick gar nicht schwer.“ In den Monaten dieser nicht enden wollenden Pandemie wirken viele Appelle zum Optimismus wie billige Durchhalteparolen und für die, die viel Leid tragen müssen, geradezu zynisch. Aber die Sehnsucht nach ein wenig Trost, Ablenkung und Freude ist da, und sie ist im zermürbenden Alltag zwischen Homeoffice, steigenden und sinkenden Inzidenzzahlen und dem Warten auf einen Impftermin ja auch verständlich. Der Konsum von Tabak und Alkohol hat im letzten Jahr zugenommen und mittlerweile hat mehr als die Hälfte der Fernsehzuschauer ein Streaming-Abo. Aber das schale Gefühl des Ausgeliefertseins an die Pandemie bleibt. Ablenkung und Zerstreuung allein genügen offenbar nicht, aber „ungetrübte Freude“ im Angesicht des Todes, wie kann das sein? Die Texte des heutigen Sonntags wollen hierauf eine Antwort geben. Schon im Eröffnungsvers heißt es: „Verkündet es jauchzend, damit man es hört! (…) Ruft: Der Herr hat sein Volk befreit.“ Und im Tagesgebet: „Allmächtiger Gott, lass uns die österliche Zeit in herzlicher Freude begehen und die Auferstehung unseres Herrn preisen.“ Im Evangelium schließlich sagt uns Jesus: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird.“ Ein Satz aus der zweiten Abschiedsrede Jesu, von Johannes unmittelbar vor die Passion Jesu gesetzt. Die Zusage von Freude vor Leid und Tod! „Meine Freude in euch“ ist etwas anderes als die Vergnügungen und Freuden, die wir kennen. Sie sind punktuell, vorläufig und unvollkommen. Wir sagen – etwa am heutigen Muttertag – einander „eine Freude machen“. Das ist schön und gut, aber es ist eben auch eine „gemachte“ Freude, die viel Aufmerksamkeit und Zartgefühl bei Schenker und Beschenktem voraussetzt. In ihrer Erzählung „Vom Aufstehen“, für die sie im vergangenen Jahr in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt, berichtet Helga Schubert, wie sie als 6jährige ihrer Mutter eine Kette aus weißen Bohnen schenkte. Sie hatte sie bei der Großmutter erbeten, sie heimlich eingeweicht, dann Bohne für Bohne durchstochen und auf eine Schnur gezogen. Als sie der Mutter voller Stolz die Kette überreichte und sie bat, sie doch einmal anzulegen, antwortete sie, geradezu angewidert von der Armseligkeit des Geschenks: „Nein, so etwas trage ich nicht.“ Diese Unfähigkeit zur Freude verletzt das liebende Kind so sehr, dass es sie noch als 80jährige schmerzt.
Jesu Freude in uns ist anders. Wir müssen und können sie nicht machen, sie ist geschenkt, Frucht einer tiefen Christusbeziehung, die uns umgestalten möchte. Jesus will zuinnerst bei uns sein, freudlose Leere vertreiben und freudige Erfülltheit schenken. So wie dem Zachäus. Voller Freude steigt er vom Baum als er die Einladung Jesu hört (vgl. Lk. 19,6). Seine Freude in uns ist das tiefste Geheimnis unserer Existenz. Ganz nah und doch oft so weit entfernt. Wir müssen durch die Entfremdungen unserer Existenz hindurch, um zu dieser Herzmitte zu gelangen. Die große Freude bedarf des langen Atems. Helmuth von Moltke wurde sie in größter Not geschenkt.
„Damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“, bedeutet aber auch: Sie ist in jedem von uns, aber wir haben sie nicht für uns allein. Ihretwegen werden wir zu Freunden all derer, die das gleiche Geschenk empfangen haben wie wir. Aber Achtung: Dieser Freundeskreis ist die Gesellschaft Jesu, nicht in erster Linie die Erfolgreichen, Guten, Mächtigen und Reichen, sondern die Verachteten, Verstoßenen, Einsamen und Kranken, die Dealer, die Diebe und die Wirecard-Manager, Zöllner unserer Zeit. Wir suchen uns diese Freunde nicht aus, aber wir stehen mit ihnen in einer Reihe, weil wir gemeinsam Beschenkte sind. In der Freude darüber können wir einander gut sein. Und wenn unser Herz so groß ist, dass wir Jesu Liebe hineinlassen, dann traut er uns die Hingabe des eigenen Lebens für diese Freunde zu. Er hat es uns ja vorgemacht!
Manche unserer mit anderen geteilten Alltagsfreuden sind ein Vorgeschmack. Aber allein die Freundschaft mit dem Herrn ist wirklich krisenfest und hält auch einer Pandemie stand. Die Märtyrer des 20. Jahrhunderts haben dies erfahren und bezeugen es uns. P. Alfred Delp SJ saß zur gleichen Zeit wie Helmuth von Moltke im Gefängnis in Berlin-Tegel und wurde wie er am 11. Januar 1945 zum Tode verurteilt. Sie waren Freunde. Delp schrieb in einer Meditation zum Dritten Adventssonntag 1944 aus seiner Zelle: „Der Mensch soll es (…) seinem Herrgott glauben, auch in der Nacht und in der Not, dass er für die Freude geschaffen ist.“
Diakon Dr. Michael Pope
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