Sonntagsgedanken, 8. August 2021


Sonntagsgedanke zum 19. Sonntag im Jahreskreis
8. August 2021
„.. sich aus freiem Willen dem Leiden unterwarf …“

Im Blick auf die erste Lesung des heutigen Sonntags steht im Mittelpunkt die Aufforderung des Engels an den verfolgten Propheten Elija, das nach seinem Erschöpfungsschlaf neben seinem Kopf wundersam vorgefundene Brot und Waser zu sich zu nehmen: „Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich.“
Im Evangelium verheißt Jesus: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben.“
Diese beiden Worte öffnen eine Tür zu einer vertiefenden Wahrnehmung eines historischen Ereignisses, das am 8. August 1942, vor 79 Jahren geschah. An diesem Tag erreichte nach zweitägiger Fahrt ein Transport mit nahezu tausend jüdischen Männern, Frauen und Kindern das Vernichtungslager Auschwitz. Es brauchte nur wenige Stunden in den 9. August, um die Hälfte von ihnen in dem zu einer Gaskammer umgebauten Bauerngehöft Weißes Haus zu ermorden.
Zu diesem Transport gehörte mit einer Gruppe von Ordensleuten, Frauen und Kindern auch Schwester Benedicta a Cruce, mehr bekannt unter ihrem Geburtsnamen Edith Stein, die in ihrer Jugend bzw. im Erwachsenalter katholisch getauft worden waren. Die katholischen Bischöfe der Niederlande hatten am 26 Juli 1942 in einem gemeinsamen Hirtenbrief gegen die Deportation der jüdischen Mitbürger durch die nationalsozialistische Besatzung protestiert. Aus Rache wurden daraufhin auch alle katholisch getauften Juden der Vernichtung überliefert.
Seit einigen Jahrzehnten beschäftige ich mich mit der letzten Lebenswoche von Edith Stein und ihren Gefährten. Es ist sehr bewegend, besonders den Weg der als Erwachsene Getauften zu kennen, der geprägt war von familiärer und öffentlicher Ausgrenzung, vom Verlust des Besitzes und der Heimat, von aussichtsloser Zukunft.
Reich ist die Dokumentation über ihren Weg zum Glauben an Jesus Christus, ihre Haltung bei der Verhaftung, ihre Tage in den Lagern Amersfoort und Westerbork, ihre letzten schriftlichen Zeugnisse vor dem Abtransport: Keine heilige Messe, keine Eucharistie. „Jetzt lernen wir, von innen zu leben.“
Edith Stein hatte schon 1933 vorausgeahnt, dass nicht nur sie, sondern Gott noch „viele andere“ in die besondere Nachfolge rufen würde. Als sie am 2. August 1942 im Karmel zu Echt verhaftet wird, arbeitete sie an diesem Sonntag an einer Studie über „Johannes vom Kreuz“ unter dem Titel „Kreuzeswissenschaft“. Darin schreibt sie:
Kein Menschenherz ist je in eine so dunkle Nacht eingegangen, wie der Menschensohn in Gethsemani und Golgotha. In das unergründliche Geheimnis der Gottverlassenheit des sterbenden Gottmenschen vermag kein forschender Geist einzudringen. Aber Jesus kann auserwählten Seelen etwas von dieser äußersten Bitterkeit zu kosten geben. Es sind seine treuesten Freunde, denen er es als letzte Probe ihrer Liebe zumutet. Wenn sie nicht davor zurückschrecken, sondern sich willig hineinziehen lassen in die Dunkle Nacht, dann wird sie ihnen zum Führer. Das ist die große Kreuzerfahrung: äußerste Verlassenheit und eben in dieser Verlassenheit die Vereinigung mit dem Gekreuzigten. Kreuz und Nacht sind der Weg zum himmlischen Licht: das ist die frohe Botschaft vom Kreuz. [Edith Stein Gesamtausgabe (ESGA) Bd. 18 (2003), Kreuzeswissenschaft, S. 20]

Als Letzte der landesweit gnadenlos Verhafteten kommt sie mit ihrer Schwester Rosa in der Nacht im Lager Amersfoort an. Dort trifft sie auf viele befreundete und bekannte Menschen. Die von dieser Stunde der Verhaftung an erfahrene enge Gemeinschaft mit den 30 Passionsgefährten wird jetzt zur gelebten Kreuzeswissenschaft.
Wann immer in der Eucharistiefeier zur Wandlung das zweite Hochgebet gesprochen wird: Denn am Abend, an dem er ausgeliefert wurde und sich aus freiem Willen dem Leiden unterwarf …, verstehe ich diese Worte auch als Kennzeichnung der Passionsgemeinschaft um die heilige Edith Stein.
So mögen meine Gedanken zum heutigen Sonntag, dem 8. August, mit ihrer historischen Verbindung eine Einladung sein, auf die Fürsprache derer zu vertrauen, die uns mit Jesus Christus Wegweisung zum himmlischen Licht schenken können.
In den jetzt erfahrenen schweren Wochen der Flutkatastrophe so vieler noch unübersehbarer Verluste können auch sie als Helfer angerufen werden.
Elisabeth Prégardier
Oberhausen


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