Sonntagsgedanken, 28. März 2021 - Palmsonntag


Auch wer klagt, vertraut auf Gott — Gedanken zu Palmsonntag

Am Kreuz betet Jesus aus einem der Klagepsalmen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34) Das Klagegebet ist ein biblisch gut fundierter, wesentlicher Teil christlichen Betens. Der tschechische Philosoph und Theologe Tomás Halík meint, dass der Mensch es ohne Gott nicht aushält, weil er im Leid die Klage braucht; es ist immer noch erträglicher, Gott anzuklagen als das Nichts auszuhalten. Der Mensch kann nicht ohne Klage und so auch nicht ohne Gott.[1] Aber ist dies wirklich sinnvoll? Ist die Klage nicht das Ende des Vertrauens in Gott, das doch eigentlich Voraussetzung für das Gebet ist?

Schauen wir auf die grundsätzliche Beschaffenheit des Klagegebets. Es ist geprägt von einer Spannung zwischen Gottvertrauen und Verunsicherung, einer Erfahrung von Leid, die der Beter mit seinem Glauben an den liebenden Gott nicht zusammenbringen kann. Der Beter reagiert aber nicht so, dass er den Glauben aufgibt, sondern erweist seinen Glauben, sein Vertrauen in Gott gerade so, indem er klagend zu ihm betet, indem er diese Verunsicherung vor Gott trägt und bekennt: Du, Gott, bist der Einzige, der etwas tun kann. Das Klagegebet ist also kein Beweis mangelnden Gottvertrauens, sondern im Gegenteil ein Zeichen höchsten Gottvertrauens: der Beter wendet sich nicht von Gott ab, sondern ihm zu, er trägt seine Leiderfahrung, seine Verunsicherung vor Gott und bittet ihn um Hilfe. Ist dies aber sinnvoll? Müsste eine solche Verunsicherung, die der Mensch erfährt, nicht vernünftigerweise dazu führen, dass er sein Vertrauen in Gott und damit auch seinen Glauben aufgibt?

Wie gesagt — im Klagegebet liegt eine Spannung zwischen Vertrauen und Verunsicherung. Diese Spannung muss das Vertrauen nicht zerstören, sie liegt letztlich im Wesen des Vertrauens selbst, es gibt kein Vertrauen ohne diese Spannung – so wage ich zu behaupten. Die deutsche Sprache hilft, das zu verstehen: Vertrauen – da steckt das Wort „trauen“ drin. Ich traue mich etwas, das bedeutet: ich wage etwas, trotz einer Verunsicherung, trotz des Wissens, dass etwas auch schiefgehen kann, riskiere ich etwas, ich traue mich. Und das trifft auch auf das Vertrauen zu. Obwohl ich nicht weiß, wie der andere in jeder denkbaren Situation sein und handeln wird, obwohl es keine letzte Garantie gibt, wie ernst der andere mich in jeder nur denkbaren Notsituation nimmt, wann er seine Bedürfnisse und Interessen zurückstellt, um mir zu helfen. Obwohl es für all dies keine Garantie gibt, traue ich mich, ich wage zu ver-trauen. Im Wesen des Vertrauens steckt also immer schon das Trotzdem, steckt immer schon die Verunsicherung. Vertrauen bleibt immer ein Wagnis, Vertrauen gibt es nicht ohne Verunsicherung. Aber auf Gott bezogen – verlangt uns da die Haltung des Vertrauens nicht ein bisschen zu viel ab?

Versuchen wir das Wesen des Vertrauens noch ein bisschen genauer zu verstehen. Vertrauen bedeutet letztlich immer ein Vertrauen in das Größere, Nicht-Fassbare hinein, gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich. Eben weil es – wie eben beschrieben – im zwischenmenschlichen Bereich keine Garantien gibt, Vertrauen also ein Wagnis ist und bleibt, eben deshalb ist Vertrauen immer Vertrauen in das Größere hinein, in die größere Liebe, in die größere Zuneigung des Freundes, oder um es mal ein bisschen niedriger zu hängen: in die größere Fähigkeit des anderen. Vertrauen – auch im zwischenmenschlichen Bereich – richtet sich immer auf das Größere, ja vielleicht kann man sagen: in das Größere hinein – eben dass beispielsweise die Liebe des anderen immer größer sein wird als alle Not. Um wie viel mehr gilt das für Gott. Er ist das Geheimnis schlechthin, nicht im Sinne eines Rätsels, eines noch nicht gelichteten Dunkels, sondern er ist der bleibend Größere, das Übermaß an Wahrheit, wie es Romano Guardini einmal formuliert hat.[2] Vertrauen richtet sich immer auf das Größere, das Nicht-Fassbare, anders gibt es kein Vertrauen.

Pfr. Marc Grießer

 

[1] Vgl. T. Halik, Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute, Freiburg i. Br. 62013, 129-130.

[2] Vgl. R. Guardini, Die Existenz des Christen, München u.a.1976, 66.


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