Sonntagsgedanken, 28. Februar 2021


Gedanken zum 2. Fastensonntag, Mk. 9, 2-10

 

Es war im Sommer 1991. Ein sonniger Urlaub auf Bornholm nach einer sehr anstrengenden Zeit: Ein strapaziöses Staatsexamen, eine noch immer unabgeschlossene Dissertation, das begonnene Referendariat und viele Fragen, wie es wohl weiter geht. Ich saß im Abendlicht auf der Fähre nach Rügen. Und mitten hinein in diese Sorgen und Zweifel auf einmal – als spräche eine Stimme zu mir – die Gewissheit: „ES IST ALLES GUT.“ Nicht „es wird schon alles wieder gut“, sondern: „ES IST ALLES GUT.“ Und zugleich: Ruhe und das Gefühl einer großen Geborgenheit. Wie lange das anhielt? Eine Minute vielleicht oder zwei? Zeit zum Hüttenbauen blieb jedenfalls nicht. Und natürlich kamen danach auch wieder manche Täler und die Mühen der Ebene. Aber diese Zusage „ES IST ALLES GUT“ auf der Fähre nach Saßnitz ist seither in mir, und ich kann mir dieses Gefühl der Geborgenheit von damals immer wieder einmal vor Augen halten.

Auch, was wir nicht festhalten können, kann uns Halt geben.

Einen solch erfüllten Augenblick erlebten auch Petrus, Jakobus und Johannes im heutigen Evangelium. Begleiten wir sie noch einmal auf ihrem Weg mit Jesus auf den Berg der Verklärung und zurück ins Tal. Zunächst heißt es: Jesus nahm die drei „beiseite“ und ganz ausdrücklich: „nur sie allein.“ Nicht die große Volksmenge, die er zuvor belehrt hatte (Mk. 8,34ff.) und auch nicht die übrigen Jünger, denen er gerade noch zum ersten Mal sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung angekündigt hatte (Mk. 8,31). Nur die drei immer wieder besonders ausgezeichneten Jünger. Besonders innige Begegnungen mit Jesus wie sie sie dann erlebten, kann man also offenbar nicht einfach selbst machen. Sie werden uns zuteil, sie sind ein Geschenk. Aber wenn wir dann erwählt sind – und das sind wir alle auf die eine oder andere Weise – dann sind wir auf neue, unbekannte Wege gerufen. Dann führt Er uns wie die Jünger „auf einen hohen Berg.“

Und dort erfuhren sie „Verklärung“. Es folgen fünf Verse voller Wucht und symbolgesättigter biblischer Bilder, die dies umschreiben.

  • Da ist das weiße Gewand Es erinnert an unsere Taufkleider und es wird uns Ostern wieder begegnen beim Engel, der den Stein vom Grab weggewälzt hat. Auch sein Gewand war „weiß wie Schnee.“ Leid und Kreuz und Tod werden kommen für Jesus und für uns. Im weißen Gewand Jesu aber schauen wir quasi schon einmal hinter den Vorhang auf unsere Erlösung.
  • Und dann Mose und Elija. Ihr vertrautes Gespräch mit Jesus weist darauf hin, dass er ganz in der Tradition des Volkes Israels steht. Er hebt nichts auf, sondern vollendet, was Mose, Elija und die anderen Propheten begonnen hatten. Er selbst ist das Gesetz, das Mose nur brachte, und die Erfüllung der Propheten. Auch dieses Motiv wird uns Ostern wieder begegnen im Emmausevangelium: „Und er legte ihnen da, ausgehend von Mose und den Propheten, was in der ganzen Schrift über ihn geschrieben stand. (Lk.24,27)“
  • Und die Handlung spielt auf einem hohen Berg, Ort der Gottesbegegnung seit jeher. Wir haben es eingangs gehört. In einem Vers aus dem Buch Genesis, das leider nicht in den heutigen Lesungstext übernommen wurde (Gen. 22,14), heißt es: „Auf dem Berg lässt sich der Herr sehen.“ So auch hier!
  • Aus der Wolke beglaubigt der Vater den Sohn: „Das ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ Die Wolke ist schon im Alten Bund Zeichen der Gegenwart Gottes. Sie steht für seine Nähe, aber auch für seine Unverfügbarkeit. Im Alten Bund ging sie dem Volk Israel voraus (Ex.13,21), sie stand über dem Offenbarungszelt (Ex.33,9 f.), und sie hüllte Mose auf dem Berg Sinai ein (Ex.24,15 ff.) als ihm das Gesetz übergeben wurde.

Welche Fülle an überwältigenden Bildern! Auch wenn die Jünger „vor Furcht ganz benommen“ waren: Dieser Moment soll nicht einfach zu Ende gehen. Das darf doch nicht sein. Der Wunsch des Petrus, in drei Hütten alles festzuhalten, ist zwar irgendwie unbeholfen und grotesk, aber doch auch menschlich und nachvollziehbar.

Nur: Es geht nicht. Nicht auf dem Berg der Verklärung, nicht auf der Fähre nach Saßnitz, und auch sonst nicht.

Wer im Chor singt oder ein Instrument spielt weiß: Es gibt diesen flow, diese göttlichen Momente, in denen alles klingt und harmoniert und der Himmel aufzugehen scheint, aber: Die Musik geht einfach weiter. Vielleicht wird es uns wieder einmal geschenkt. Aber machen können wir es nicht!

Oder wer als Kind Fußball gespielt hat, weiß das auch. Nur einmal kommt die Flanke perfekt, springt man genau im richtigen Moment ab, setzt zum Fallrückzieher an und versenkt den Ball im Tordreieck. Man kann es noch so oft versuchen, doch es klappt nicht mehr. Vielleicht wird es uns wieder einmal geschenkt. Machen können wir es nicht.

Wie für die Jünger geht es nämlich auch für uns immer wieder talwärts in den Alltag. Die Sorge um die Gesundheit, um die Stabilität von Beziehungen oder die wirtschaftliche Existenz. Die Angst vor der Klassenarbeit, Erfolglosigkeit, Leerlauf oder Überforderung im Beruf. Die zunehmende Schwäche im Alter, ermüdende Strukturdebatten in unserer Kirche u.v.m.

Wir sind immer ausgespannt zwischen Fest und Frust.

Aber und gerade deshalb: Halten wir die Gipfelerfahrungen unseres Lebens in Ehren. Sie sind unendlich kostbar und unverzichtbar. Sie geben uns einen langen Atem, machen uns großzügig und weiten unseren Blick wie von einem hohen Berg.

Auch was wir nicht festhalten können, kann uns Halt geben.

Und wer Gott in solchen Momenten einmal wenigstens erahnt hat, kann ihn zwar nicht festhalten, aber vielleicht kommt er auf den Geschmack, ihn ein Leben lang zu suchen.

Und diese Suchbewegung führt uns unweigerlich zu der Frage, die auch die Jünger umtreibt. „Was das sei: von den Toten auferstehen“. Es ist für unseren Glauben die Frage aller Fragen. Paulus sagt: Daran hängt alles (1.Kor.,15,13f.). Die Fastenzeit ist die im Kirchenjahr geprägte Zeit dieses Suchens und Fragens. In ein paar Wochen an Ostern werden wir das Geheimnis der Auferstehung feiern und vielleicht wieder ein wenig tiefer verstehen.

Bitten wir den Herrn über Leben und Tod um seine Nähe, dass wir ihn wie die Jünger als den verklärten Herrn erkennen. Dass er uns zeige, wie wir einst, ihm ähnlich geworden, in seinem Reich leben werden.

Dr. Michael Pope, Stuttgart

 


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