Sonntagsgedanken 20. Juni 2021


12. Sonntag im Jahreskreis
Neuschöpfung des Menschen

An heutigen Sonntag wird uns in den Gebeten und Lesungen wiederum eine Fülle von Zuspruch, Zuversicht und Wegweisung für unser Leben gegeben. Vor der Eucharistiefeier wissen wir in der Regel zumeist nicht, welchen Schwerpunkt die Predigt haben wird. In den Gedanken einige Sonntage zuvor hatte ich Sie eingeladen, das Markusevangelium oder den 2. Brief des Apostels Paulus an die Korinther einmal ganz durchzulesen, um den Gesamtzusammenhang der in kurzer Auswahl getroffenen Lesungen besser zu verstehen.
So möchte ich Ihnen heute den historischen Zusammenhang des 2. Korintherbriefes aufzeigen. Wir werden weder Paulus in seiner Persönlichkeit noch dieser Briefstelle in ihrer Intention ganz gerecht, wenn wir nicht die Mühen und Leiden des Apostels um die Gemeinde von Korinth kennen und um die außerordentlich gespannte Situation wissen, aus der heraus das Wort von der „neuen Schöpfung“ (2 Kor 5,17) geschrieben ist. In der Sprache der Exegeten heißt es so schön: Sitz im Leben.
„Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine ganz neue Schöpfung.
Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“
Korinth ist eine Gemeinde, die den Missionar Paulus stärker als alle Gemeinden herausgefordert hat. Durch die heftige Art der Auseinandersetzungen provoziert sie die leidenschaftlichsten Briefe, die Paulus überhaupt an eine Gemeinde geschrieben hat. Dreimal ist er selbst in Korinth gewesen und hat der Gemeinde wenigstens vier oder fünf Briefe geschrieben.
Nachdem Paulus in Athen abgeblitzt ist, kommt er in die Hafenstadt Korinth, Knotenpunkt im internationalen Seeverkehr, Handelsstadt zwischen Morgen- und Abendland. Eine bunte Mischbevölkerung beherrscht das Stadtbild. Das tägliche Leben prägen Kaufleute, Hafenvolk, Militär, eine reiche Oberschicht und die Masse des Proletariates. Korinth hat einen schlechten Ruf wegen der Profitgier, der sexuellen Zügellosigkeit, der entarteten Götterkulte.
In eineinhalb Jahren gewinnt Paulus aus dieser verkommenen Stadt eine Gemeinde, die miteinander betet und Eucharistie feiert. Die meisten Bekehrten gehören zu den sogenannten kleinen Leuten. Dazu gehören aber auch einige gebildete Christen römischer und jüdischer Herkunft. In Korinth beginnt Paulus mit den früher besuchten Gemeinden in schriftlichen Verkehr zu treten. Die Thessalonicher erhalten von Paulus in zwei Briefen Antworten auf Fragen, die die Gemeinde sehr beunruhigen: auf die Frage nach der Wiederkunft Christi und die Auferstehung von den Toten. Ganz sicher hat Paulus in seiner praktischen Verkündigung bei den Korinthern auch diese Themen ausführlich behandelt.
Von Korinth aus reist Paulus nach Ephesus, Jerusalem, Antiochien und wieder nach Ephesus zurück. Hier bleibt er drei Jahre (54-57). Von hier aus geht dann Apollos, ein gelehrter Judenchrist, nach Korinth, um die Missionsarbeit des Paulus fortzusetzen. Doch bald erreichen Paulus Nachrichten von der wenig harmonischen Weiterentwicklung der jungen Gemeinde. Es gibt Schwierigkeiten im praktischen Leben, Unsicherheit über einige Glaubensfragen und Gruppenbildungen. Paulus schreibt einen ersten Brief, der uns aber bis heute nicht erhalten ist. Die unerfreulichen Nachrichten mehren sich. Paulus sieht sich veranlasst, erneut zu schreiben. Dieses Schreiben kennen wir als den 1. Korintherbrief. Er ist das erste historische Dokument in der Reihe der kanonischen Briefe, das von den Problemen einer neumissionierten Gemeinde berichtet. In Korinth geht es wahrhaftig nicht sanft zu. Man geht aber auch nicht sanft mit dem abwesenden Apostel Paulus um. Der besorgte Paulus mahnt die zerstrittenen Parteien und brandmarkt die Missstände in der Gemeinde. Weiterhin gibt er einige pastorale Anweisungen (u. a., dass Frauen in der Gemeindeversammlung schweigen sollen!). Dem 1. Korintherbrief verdanken wir das erste schriftliche Zeugnis über die Einsetzung der Eucharistie, ein gewaltiges Kapitel über die Auferstehung der Toten und nicht zuletzt das Hohe Lied der Liebe.
Jedoch die Krise in Korinth ist noch nicht beendet. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Gemeinde und den Gegnern des Paulus, wovon uns der 2. Korintherbrief beredte Auskunft gibt. Nach dem Stand der heutigen Forschung handelt es sich bei diesem Brief nicht um ein einziges Schriftstück, sondern um verschiedene Fragmente, die die einzelnen Abschnitte des Kampfes noch erkennen lassen.
Wahrscheinlich ist das große Briefstück 2. Kor. 2, 14 — 7. 4 eine erste ausführliche Antwort an die Korinther, in der Paulus sein Apostelamt in seiner ganzen Erhabenheit und in der Weise seiner Ausübung der zerstrittenen und verwirrten Gemeinde darlegt. Hier finden wir auch den Text, den wir am Anfang der Betrachtung gehört haben.
Was will Paulus sagen?
Vor Gott und vor euch Korinthern stehe ich ganz offen da. Aus dem Innersten meines Herzens habe ich euch gepredigt. Bei euren Streitereien sollt Ihr euch darauf berufen, was aus dieser inneren Wahrhaftigkeit kommt. Äußerlichkeiten sind unwesentlich.
Ich will es euch genau sagen: Was uns treibt ist die Liebe Christi.
Denkt doch daran, Christus ist für uns gestorben und auferstanden.
Weil wir zu ihm gehören, weil wir mit ihm zusammengewachsen sind, sind wir mit ihm in der Taufe gestorben und leben aber auch mit ihm. Früher habe ich Jesus Christus einmal ganz anders beurteilt. Nur vom Menschlichen, vom Äußeren her. Jetzt ist das alles ganz anders. Ich sage es euch und seid doch überzeugt davon:
Wenn jemand in Christus ist, so ist er von Grund auf neu.
So ist es endgültig vorbei mit dem Alten, Vergangenen. Etwas ganz Neues ist entstanden.
Woher kommt das alles?
Gott hat uns in Christus ein Angebot gemacht und auch verwirklicht. Mein apostolischer Auftrag besteht nun darin, dieses Versöhnungsangebot Gottes weiterzugeben.
Dabei soll euch klar werden: wir tun das nicht aus eigenem Auftrag. Gott hat uns zu euch geschickt und sagt euch durch uns: „Versöhnt euch, bekehrt euch, kehrt wieder um.“
Trotz seiner Eindringlichkeit erreicht dieser Brief nicht die von Paulus erwünschte Wirkung. Der Apostel sieht sich deshalb von Ephesus her zu einem kurzen Besuch in Korinth genötigt. Während dieses Aufenthaltes muss ein ungewöhnlich scharfer Angriff auf Paulus erfolgt sein. Nach seiner Rückkehr schreibt dann Paulus „aus großer Bedrängnis und Not des Herzens heraus, unter vielen Tränen“ einen weiteren Brief, den wir als den Tränenbrief im 2. Kor. 2, 10-13 vor uns haben. Paulus wirft jetzt das Letzte in die Diskussion: seine Leiden und seine Begnadungen. Titus bekommt den Auftrag, den Brief zu überbringen. Persönlichkeit des Überbringers und Brief glätten endlich die hohen Wogen. Die Gemeinde sieht ihre ungerechten Angriffe ein und wendet sich dem Apostel wieder ganz zu. Sie möchte sogar unter Beweis stellen, wie ernst es mit ihrer Umkehr ist. Paulus ist wieder mit den widerspenstigen Korinthern versöhnt. Aus den Zeilen, die er nun den Korinthern schreibt, nämlich 2. Kor. 1, 1-2. 14, geht seine ganze verzeihende Liebe hervor. Als Begleitbrief des Apostels zu dem Angebot und der Aufforderung an die Korinther, sich an der Sammlung für die in Not geratene Gemeinde in Jerusalem zu beteiligen (Kapitel 8), können die Stellen 2. Kor. 7, 5-17 verstanden werden. Den Exegeten mag es nun überlassen bleiben, Kapitel 9, das noch einmal auf das Solidaritätswerk hinweist, als einen weiteren Brief des Apostels zu verstehen.
Wie in den Briefen versprochen, besucht Paulus erneut die Gemeinde und verbringt dort die drei Wintermonate des Jahres 57/58. Während dieser Zeit schreibt er seinen so bedeutsamen Brief an die ihm noch unbekannte Gemeinde in Rom. Der Ton des Römerbriefes lässt darauf schließen, dass die Kämpfe und Stürme endgültig vorbei sind. Paulus und die Korinther haben einander wieder voll angenommen.

Wer den 2. Korintherbrief ganz durchliest, wird mit Betroffenheit merken, dass auch wir fast zweitausend Jahre später durchaus mitgemeint sind.

Elisabeth Prégardier
Oberhausen


Gedanken zum 12. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Alle in einem Boot

Nun, nicht eigentlich alle. Die Szene vom Sturm auf dem See erinnert mich zunächst an die Erläuterungen, die Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI., dazu gegeben hat, warum in einem neu übersetzten deutschen Messbuch – das irgendwann erscheint;) – bei den Wandlungsworten über den Wein wieder stehen sollte „für viele“ (pro multis). Er begründet es mit den Worten: „Die vielen, die wir sind, müssen in der Verantwortung für das Ganze im Bewusstsein ihrer Sendung stehen.“
Die Parallele zum Evangeliumstext ergibt sich aus dem einleitenden Satz, dass Jesus mit seinen Jüngern in einem Boot ans andere Ufer hinüber aufbricht und „einige andere Boote begleiteten ihn“ (Mk 4,36). Jesus ist mit den „vielen“, nämlich den „seinen“, in einem Boot, aber das Wunder, das er zu wirken beabsichtigt, ist für „alle“ gedacht. Jesus gibt sich im Brot und Wein der Eucharistie konkret für die Seinen als Gabe hin, die dann aber gesandt sind zu allen, eben in der Kraft dieser Speise, weil Jesus auch für alle die Tat der Erlösung vollzogen hat.
Doch die Bezogenheit auf das, was Kirche ausmacht, auch in ihren intimsten Vollzügen endet bei unserer Bootsgeschichte noch lange nicht an diesem Punkt.
Da ist zunächst die unmittelbar auftauchende Parallele zur Jona-Episode aus dem Alten Testament: Auch Jona schläft im Schiff, in dem er vor seiner Ninivemission flieht; auch hier erhebt sich ein heftiger Sturm, der nur durch göttliches Eingreifen gestillt werden kann – und: Jesus wird sich (später) freiwillig opfern für dieses „Boot“, die vielen im „Schiff der Kirche“, ja letztlich für alle, zu denen er durch die Geschichte der Zeiten vermittels seiner Menschenfischer-Mannschaft unterwegs ist.
Damit leuchtet auch die Symbolik der Szene auf, aus der vielfältige Vergleiche zu ziehen wären. Hier nur drei.
1. Jesus schläft – sehr menschlich! – im „Auge des Sturms“ (Klaus Berger). Jeder Orkan hat hier interessanterweise seine stillste Stelle: Gott ruht in mitten seiner Schöpfung, nach Vollendung seiner Schöpfung (Sabbat!). Jesus, der menschliche Schläfer, aber ist auch Gott, der dem Sturm gebietet.
2. Das Schiff der Kirche wird schon in der Anfangszeit vom Meer der Welt umbrandet, angefeindet. Die zu ihr gehören, leben in Angst und immer wieder trifft sie der Vorwurf, sie wären „deiloi“ (gr.) „feige, verzagt, angstbesetzt, armselig“, kleingläubig eben. Nicht von ungefähr taucht der Satz „Füchtet euch nicht!“ in den heiligen Schriften auf und zwar zuhauf.
3. Es geht wie auch in den folgenden zwei Wundergeschichten bei Markus (Dämonenaustreibung in Gerasa, Totenerweckung der Tochter des Jairus mit eingeschobener Heilung einer kranken Frau) um den Glauben: „Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Mk 4,40).
Erleben wir nicht unsere deutsche Kirche zur Zeit genau in einer solchen Situation? Orientierungslos, uneins, zerrissen von Stürmen, die bis ins Boot hinein Flutwellen von Hass, Anfeindung und giftiger Gischt treiben.
Aber Jesus ist da, er bleibt ruhig, er sagt seine Wahrheit, die Wahrheit des Glaubens. Wir, die „vielen“, die er durch seine Gnade zu seinen Jüngern und Jüngerinnen gemacht hat, sollten nicht ängstlich sein, uns aus Feigheit, konformistischer Anpassung, defätistischer Verzagtheit einem scheinbar übermächtigen Weltgewoge beugen, unseren Glauben verwässern lassen.
Lasst uns in Einheit mit der Gesamtkirche in dem einen Boot der Kirche bleiben, wo der Herr ruht, ruft und rettet! Gesegneten Sonntag!

Pfr. Dr. Andreas Martin


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